Im eigenen Schatten
er es nicht bis zur Tür. Die Kommissarin streckte ihn mit einem Roundhouse-Kick zu Boden. Ihr Fuß traf ihn an der Stirn, wie ein Sack fiel der Direktor um. Einstein erwischte sie erst in der Hotelhalle, mit dem deutlich kleineren Mann hatte sie noch weniger Mühe.
»Ich schwöre, mich für Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen«, sagte Xenia, während sie ihm Handschellen anlegte. »Ein Eid im Taekwondo, falls Sie es nicht wissen sollten.«
»Haben Sie einen Haftbefehl?«, fragte Unterberger mit hochrotem Kopf, als er sich wieder aufgerappelt hatte. Ihm war heiß und kalt zugleich.
»Seien Sie dankbar, dass ich Ihnen wenigstens das Wochenende gegönnt habe. Die Damen schicken wir bruchsicher verpackt hinterher.« Xenia erhob sich und befahl den Uniformierten, die Männer in den Wagen zu verfrachten. »Schreiben Sie alles aufs Zimmer«, sagte sie zu dem Barkeeper, der die Szene mit aufgerissenen Augen verfolgt hatte.
Jede Stunde warten wiegt tausend andere. Im Knast hatte der Erzengel von Mal zu Mal gelernt, geduldig zu sein. Er wusste stets, wie lange es noch dauern würde, bis er wieder auf freien Fuß gesetzt werden würde; er konnte die Tage rückwärts zählen. Im Moment aber rätselte er, wie viel Zeit seit seiner Festnahme vergangen war, seit man ihm neben allen anderen persönlichen Gegenständen auch die Armbanduhr abgenommen und ihn in dieses nur von Kunstlicht beleuchtete Gebäude gebracht hatte, wo er sich auf dem mit Kunststoff bezogenen unbequemen Sitz des Gefangenentransporters den Hintern wundsaß.
Nicht einmal die Geräusche der Polizisten erreichten ihn durch die geschlossenen Scheiben. Meist stierte er vor sich hin, manchmal nickte er ein und träumte vom Wochenende bei Maria und ihren Mädchen, wurde aber von einem der beiden Aufseher sogleich wieder durch unsanftes Rütteln an seiner Schulter in die Wirklichkeit gerissen. Lautstark protestierte er, beschimpfte die Beamten als Folterknechte. Vergebens, sie sprachen kein Wort mit ihm.
Dann versuchte er es wie einst im Schulunterricht mit dem Toilettentrick, doch nur zweimal in all den Stunden war seinem Verlangen mit viel Verzögerung nachgegeben worden, und nicht einmal die Tür der Kabine hatte er schließen dürfen. Die Fessel wurde ihm sogleich wieder angelegt, nachdem er sich die Hände gewaschen hatte.
Nur einen halben Liter Mineralwasser in einer Plastikflasche hatte man ihm während der langen Zeit zu trinken gegeben, und zur Mittagszeit ein in Frischhaltefolie verpacktes, schlabbriges Tramezzino mit Bresaola, Mayonnaise und Rucola serviert. Auch Zigaretten wurden ihm von den beiden Aufpassern verweigert; normalerweise hätte er längst ein Päckchen weggequalmt.
Irgendwann fing er an, mit den Füßen auf den Wagenboden zu trommeln, doch erreichte er damit nur, dass das Seitenfenster ganz geschlossen wurde. Er schrie von Folter, Menschenrechten und Amnesty International. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich einer der Beamten an den Kopf fasste.
Mimmo Oberdan wusste aus Erfahrung, dass ihn ein mehr oder minder scharfes Verhör erwarten würde, und er legte sich dafür verschiedene Strategien zurecht, die er hintereinander wieder verwarf. Mit Laurenti wäre es einfacher gewesen. Der Commissario hasste es selbst, Zeit beim Warten zu verschwenden, er konnte zwar sehr ungeduldig und ungehalten werden, doch mit Mimmo hatte er stets eine Möglichkeit gefunden, ihn schnellstmöglich ein Geständnis unterschreiben zu lassen. Meist wurde es von Marietta protokolliert. Das Verhör und die Klärung aller nötigen Details verliefen konstruktiv, und Mimmo entwickelte dabei wahre Fabulierkünste. Wie zwei übermütige Jugendliche, die mit ihren Heldentaten prahlten, platzten sie vor Lachen, wenn Laurenti seine Schilderung vorwegnahm und sich irrte. Mimmo korrigierte ihn dann vergnügt, und Marietta schlug die Beine übereinander, worauf ihr kurzer Rock nach oben rutschte. An Zigaretten mangelte es auch nie. Wenn seine zu Ende waren, schob sie ihm immer bereitwillig ihr Päckchen hin. Und ganz zum Schluss, wenn es wieder ernst wurde, nachdem Laurenti das ausgedruckte Geständnis laut verlesen und ihm zur Unterschrift vorgelegt hatte, also kurz bevor Mimmo abgeführt und für lange Zeit hinter Gittern verschwinden musste, da zauberte Marietta eine Flasche hervor. Während sie großzügig einschenkte, versenkte sich sein Blick in ihre Bluse. Den Anblick nahm er mit in seine Zelle. Das unbestimmte Warten in diesem Hangar war dagegen die reinste
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