Im eigenen Schatten
sieht doch jeder der feinen Gesellschaft, dass Sie ein Bulle sind. Streifen Sie ein bisschen herum, Pina.«
Männer in dunkelblauen oder schwarzen Anzügen mit weißen Hemden, goldenen Manschettenknöpfen und meist ergrautem Haar standen in kleinen Gruppen zusammen und redeten leise. Ihre Krawatten waren blau wie der Himmel oder blau wie das Logo der tonangebenden Partei. Oder sie waren grün, dann ragten oft auch Einstecktüchlein gleicher Farbe aus der Brusttasche ihrer Sakkos. Wichtig fühlten sich die Herren alle. Und ihre Körpersprache, die Gestik, mit der sie Vertraulichkeiten austauschten, glich sich unabhängig von der Farbe ihrer Krawatten. Die dazugehörigen Damen musterten die neu eintreffenden Begleiterinnen wichtiger Amtsträger oder einflussreicher Geschäftsmänner.
Laurentis Blick schweifte hinüber zu der schmalen Straße, die zum Hof führte, und von wo sich ein dumpfes Donnern näherte. Ohne zu bremsen lenkte der Fahrer mit dem schwarzen Helm die Maschine auf der Zufahrt zwischen den beiden Gorillas hindurch, schlug einen Bogen an den Kondolierenden vorbei und hielt schließlich direkt neben den Zwillingen, wo er den Motor nach einem letzten Aufdrehen des Gasgriffs endlich absterben ließ. Nikolaus Spechtenhauser, der Erstgeborene des Verstorbenen, hängte lässig den Sturzhelm und seine schwarze Lederjacke an den Rückspiegel und küsste beide auf die Wangen. Kühl begrüßten die Zwillinge den Mann mit dem weit über die Brust aufgeknöpften Hemd und dem goldenen Ring im Ohrläppchen. Er scherte sich nicht weiter um sie, ging grußlos durch die Gäste hindurch und steuerte auf eine auffallend attraktive und elegante Dame zu, deren Alter Laurenti nicht zu schätzen wusste. Teuer und stilsicher war sie gekleidet und von einem deutlich jüngeren Mann sportlicher Statur begleitet, der ihn an den Nackten auf der Treppe in Gertraud Spechtenhausers Haus denken ließ. Dieser hier war aber in feinstes Tuch gekleidet. Die Frau umarmte den Motorradfahrer innig. Laurenti schloss daraus, dass es sich um die erste Gattin des Verstorbenen handelte.
Die Zwillingsschwestern traten vor das Buffet, und allmählich verstummten die Gäste. Gertraud Spechtenhausers Stimme war klar und getragen. Während sie ihre Rede begann, winkte Magda den Halbbruder herbei, der sich mit einem Glas Spumante in der Hand fast widerwillig zu ihnen gesellte.
»Nikolaus, Magdalena und ich, die Kinder von Franz Xaver Spechtenhauser, danken Ihnen von Herzen, dass Sie heute gekommen sind, um Abschied von unserem Vater zu nehmen. Sein überraschender Tod hat uns alle zutiefst erschüttert. Es ist schwer, mit einem solchen Verlust zu leben. Es ist unmöglich, die Lücke zu füllen, die unser Vater in unser aller Mitte gerissen hat. Nicht nur in die Mitte seiner Familie, auch in eure, seine engsten Freunde, seine treuesten Geschäftspartner, seine langjährigen politischen Mitstreiter. Unser Vater hatte große Ideale. Und er hat uns gelehrt, diesen auch dann zu folgen, wenn er es nicht mehr kann …«
Laurenti horchte auf. Politische Aktivitäten Spechtenhausers waren ihm neu. Überhaupt hatte er sich erst seit gestern Nachmittag intensiver für ihn interessiert, nachdem klar geworden war, dass er nicht Opfer eines Unfalls war.
»Er war ein weise vorhersehender Mann, der versuchte, böse Überraschungen zu vermeiden. Und er hat ein großes Imperium hinterlassen. Doch niemand muss fürchten, dass seine Geschäfte nicht fortgeführt würden, dass seine großen humanistischen Ideale mit seinem Ableben jetzt nur noch eine Erinnerung wären. Schon vor Jahren hat unser Vater Magdalena und mich in die Geschäfte einbezogen, wir haben täglich mit ihm zusammengearbeitet. Auch in Bozen und Meran hat er vorgesorgt, wo, wie Sie alle wissen, Donna Rita Carli, Nicks Mutter, die Geschäfte führt. Franz Xaver Spechtenhauser hat sich immer vor Zwietracht gefürchtet …«
Zwietracht? Diesem vorbildlichen Humanisten hat es also doch nicht an Feinden gemangelt, dachte Laurenti.
Gertraud unterbrach ihre Rede, schneuzte sich flüchtig und kam dann auf den Überfall auf der Autobahn zu sprechen. Als sie die Menge des Raubgoldes benannte, sah Laurenti, wie Nikolaus Spechtenhauser den Spumante in einem Zug hinunterstürzte. Manche der Gäste flüsterten aufgebracht, doch sie verstummten sogleich wieder, als die Blonde fortfuhr.
»Gold, das unserem Vater gehört«, sagte Gertraud.
Ihrem Halbbruder entfuhr ein lauter Rülpser. Manche der Gäste
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