Im eigenen Schatten
Parkhaus beim Franz-Josef-Strauß-Airport abstellen lassen. Von dort würde er zusammen mit dem Erzengel nach Österreich fahren, wo sie in einem feinen Etablissement absteigen wollten und sich schon jetzt auf die jungen Damen aus Osteuropa freuten.
Auf Einstein und den Direktor wartete ein Allerweltswagen vor dem Flughafenterminal, ein silbergrauer Audi von einem Autoverleiher in Pordenone, der in den letzten Tagen auf dem Weg nach Norden mehrere stationäre Radarkontrollen mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durchfahren hatte. Am Steuer saß eine üppige Schönheit mit kurzgeschorenem, feuerrotem Schopf und einem schwarzen Tattoo im Nacken, das eine Fledermaus darstellen sollte. Auf dem Beifahrersitz eine schmale Brünette mit nicht minder langen Beinen.
Alle zweiundsiebzig Sitze in der Turboprop ATR 72 von Air Dolomiti nach München waren belegt. Geschäftsreisende und Touristen aus dem Nordosten des Landes, aus Slowenien oder Kärnten nutzten die vier bequemen Verbindungen täglich zum Münchner Flughafen, der ein ideales Drehkreuz war. An Bord wurden gute Weine von zuvorkommenden, adretten Stewardessen selbst in der Economy serviert, auch ein zweites Glas, wenn jemand danach verlangte.
Das Flugzeug rollte soeben zur Startbahn, als der Alarm das Sicherheitspersonal am Flughafen erreichte. Der die Dienststelle leitende Kommissar der Polizia di Stato und sein Kollege von der Guardia di Finanza überschlugen blitzartig die knappe Zeit, die seit dem Überfall auf der Autobahn vergangen war. Unmöglich, dass die Täter bereits in dem Flugzeug saßen, auch wenn für den Check-in an diesem kleinen Flughafen nur vierzig Minuten angegeben wurden. Nach einer raschen Überprüfung der Passagierliste entschieden sich die beiden Beamten schließlich dagegen, die Maschine aufzuhalten und sich womöglich Übereifer vorwerfen lassen zu müssen.
Fünfzig Minuten später aber, als im Terminal jeder einzelne Passagier und jedes einzelne Gepäckstück noch penibler als sonst unter die Lupe genommen wurden, sich vor den Check-in-Schaltern und den Security-Schleusen lange Schlangen gebildet hatten, und die Anzeigetafel erste Verspätungen bei den Abflügen verkündete, sollten die beiden Vorgesetzten sich hartnäckig gegenseitig die Schuld für diese Entscheidung zuschieben: Ein Mann des Reinigungspersonals, der den Haltesteig für den Flughafenbus vor dem Warteraum aufkehrte, hatte einen zweisprachigen Personalausweis aus der Autonomen Provinz Bozen gefunden, ihn eingesteckt und erst, nachdem er mit dem Gate fertig war, abgegeben. Das Dokument war auf einen Johann Pixner ausgestellt, der zuletzt in der Strafvollzugsanstalt von Tolmezzo gemeldet gewesen war, wo der Zweiunddreißigjährige bis vor drei Monaten wegen eines bewaffneten Raubüberfalls auf einen Geldboten in Trento eingesessen hatte. Davor hatte er in Saltaus nördlich von Meran residiert. Sein Vorstrafenregister wies außerdem Verurteilungen wegen Körperverletzung und rassistischer Übergriffe gegen Italiener in Südtirol auf, die er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Ignaz verübt hatte. Ein notorischer Fall, der sich im Knast gegen alle Erwartungen zum Besseren entwickelt hatte und wegen guter Führung nach vier Jahren Vollpension entlassen worden war. Danach tauchte Johann Pixner in keinem Melderegister mehr auf. Die Auflage, sich einmal in der Woche bei der Polizei zu melden, hatte er bis auf die vorige Woche zuverlässig erfüllt – zuletzt bei der Questura in Triest.
Schwerer Raubüberfall passte ins Schema, und dass der Mann plötzlich weitere drei Jahre Knast riskierte, weil er gegen die richterliche Verfügung das Land verließ, sprach erst recht für seine Beteiligung. Welcher Gangster träumte nicht davon, bei einem Jahrhundertcoup abzukassieren? Der Leiter der Flughafenpolizei machte sofort Meldung.
Es ging Schlag auf Schlag. Die Maschine war soeben gelandet, als der Anruf bei den Kollegen und kurz darauf das amtliche Fax bei den Bayern eintrafen. Als aber in München die Anweisung erfolgte, dass jeder einzelne Fluggast samt Gepäck kontrolliert werden musste, verließen die Passagiere am Terminal schon den Transferbus. Die Uniformierten bauten sich am Ausgang auf, nachdem die ersten Reisenden ohne Handgepäck ihn bereits passiert hatten.
Jo Pixner beobachtete aus dem Fenster des Flughafenbusses zur Stadtmitte zwei Polizeiautos, die vor dem Terminal vorfuhren. Er ließ sich in seinen Sitz sinken und vertiefte sich in die Lektüre einer
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