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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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als der Sohn sieben war. Seine Mutter, eine außergewöhnliche Frau, hat ihn sehr verwöhnt. Zu seinem Vater hatte er so gut wie keinen Kontakt mehr. Sehr schade. Früher habe ich Franz deswegen heftig ins Gewissen geredet. Das ist vielleicht der einzige Bereich, in dem er total versagt hat. Soll ich Sie mit ihm bekanntmachen?« Moser machte eine Kopfbewegung in seine Richtung und hob den Arm, doch dann besann er sich. »Nein, warten Sie einen besseren Moment ab. Nick ist heute sehr labil. Er wird noch einige Tage hier verbringen, bevor er nach Meran zurückfährt. Die Kinder haben viel zu regeln. Ich helfe ihnen dabei und versuche, die Interessen auszugleichen, so wie Franz es im Testament festgelegt hat. Und auch Donna Rita verfügt gottlob über einen kühlen Verstand.«
    Zwei weißhaarige Herren im blauen Zweireiher waren herangetreten, die Moser als Abgeordnete aus Udine vorstellte. Ihr Händedruck glich Spülwasser. Prominente Beerdigungen dienten oft weniger dem Gedenken an die Verblichenen als dafür, die richtigen Kontakte für die Zukunft zu pflegen. Laurenti verabschiedete sich sogleich.

Rückzug
     
    Einstein hatte mit seiner Strategie vor allem auf den Faktor Zeit gesetzt. Knappe Zeit. Die Verkehrshinweise im Radio vermeldeten anfangs, dass die Autobahn wegen eines schweren Unfalls für Stunden gesperrt bliebe und es wegen der Rettungsarbeiten auch in der Gegenrichtung kaum ein Durchkommen gebe. Nur Fahrzeuge, die erst später in diese Richtung eingebogen waren, befanden sich vor ihnen. Radarkontrollen oder Streifenwagen waren jetzt nicht zu fürchten. Nach einer Viertelstunde hatten Einstein und der Direktor bereits die Ausfahrt Flughafen hinter sich gelassen, wenig später die Mautstelle Lisert vor Triest passiert und waren dann ins Industriegebiet von Monfalcone gefahren, wo sie auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums den Wagen abstellten, die Toilette aufsuchten und sich umzogen, um kurz darauf mit einem anderen Auto zum Flughafen zurückzufahren.
    Zwei durchschnittliche Geschäftsleute in Anzug und Krawatte, Aktenkoffern voller Architekturpläne in den Händen, gingen strammen Schrittes zum Abfertigungsschalter. Auch an der Security-Schleuse des kleinen Flughafens waren sie die letzten Reisenden für diesen Flug. Direktor stellte beruhigt fest, dass außer den Kontrolleuren noch keine Polizeikräfte die Reisenden überprüften.
    Einstein musste seinen Koffer öffnen. Ein Uniformierter wies ihn auf das Schweizermesser hin und stellte ihn vor die Wahl, es außerhalb zu deponieren oder in einen Plexiglasbehälter für unerlaubt mitgeführte Gegenstände zu werfen, der schon halb gefüllt war. Es war eine der Vorsichtsmaßnahmen, mit denen Einstein kontrollierte, ob die Meldung des Überfalls bereits eingegangen war. Wären die Security-Leute am Flughafen von Polizisten flankiert gewesen und hätten sich auch für den Rest des Inhalts seines Koffers interessiert und die Unterlagen durchgeblättert, hätte er sich für das Messer entschieden, das Terminal verlassen und es sich eine Viertelstunde später in der ausladenden Kajüte der »KF2 Poppa Schatzele«, der stattlichen Segelyacht eines Zahntechnikers aus Bozen, bequem gemacht, die in der Marina Hannibal bei Monfalcone lag. Dort hätte er gemütlich die Zeit verstreichen lassen, bis sich die Hysterie der Ordnungskräfte wieder legte. An Bord fehlte nichts.
    Direktor schimpfte in seinem harten Südtiroler Dialekt wie ein Rohrspatz, als man auch ihn vor die Wahl stellte, den Flug zu nehmen oder eine Flasche Grappa aus dem Handgepäck zurückzulassen. »Und am Abend sauft ihr Scheißitaliener das alles selbst«, schnauzte er deutlich vernehmbar im Weitergehen.
    Erzengel war der Erste, der den Bus zum Flugzeug bestieg. Pek, Beppe, Jo und Tomaž standen wie Fremde in der Warteschlange. Zwei von ihnen hatten von München kurze Anschlussflüge gebucht. Pek flog nach Belgrad weiter, zur Familie. Beppe nach Barcelona, von wo er noch am gleichen Tag die Fähre nach Ibiza besteigen wollte, um dort lange auszuspannen. Jo hingegen wollte den Bus zum Münchner Hauptbahnhof nehmen und dort den EC nach Süden, wo er in Franzensfeste, der einzigen Haltestelle dieser Verbindung zwischen Brenner und Brixen, aussteigen wollte. Seit seiner Entlassung vor einigen Monaten war er den Besuch in seinem Elternhaus schuldig geblieben. Zumindest seine Mutter würde sich freuen. Tomaž hatte sein Auto, ein fast neuer Kleinwagen koreanischer Produktion, von einem Freund in einem

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