Im eigenen Schatten
macht im Fernsehen eine bessere Figur.«
Um halb elf saß Laurenti endlich an seinem Schreibtisch. Marietta hatte ihm gutgelaunt einen Espresso herübergebracht. Ihrem Teint nach hatte sie die Sonne am Wochenende zu nutzen gewusst. Den neu errungenen Goldschmuck trug sie am ersten Werktag der Woche nicht, dafür musste sie soeben den kirschroten Lippenstift nachgezogen haben. Auf ihrem Schoß lag ein Stapel Papiere, wie üblich hatte sie zusammengetragen, was in den letzten beiden Tagen in den anderen Dienststellen in der Stadt und der Region vorgefallen war.
»Die Carabinieri haben zwei Jugendliche festgenommen, die den eigenen Eltern den Familienschmuck geklaut haben, um ihn bei einem der Goldaufkäufer in Bares umzusetzen. Diese Läden fragen nie nach der Herkunft der Ware.«
Marietta berichtete außerdem, dass ein Weinhändler festgehalten worden war, den Laurenti gut kannte. Er habe im Vorübergehen mit einem wütenden Tritt versucht, das Polizeipräsidium zum Einsturz zu bringen. Die Videoüberwachung an der Questura hatte ihn erfasst, und er kassierte eine Geldstrafe über hundert Euro wegen Trunkenheit und ungebührlichen Benehmens in der Öffentlichkeit. Außerdem hatte er sich den Fuß verstaucht.
»Gott sei Dank warst du nicht zu erreichen«, sagte Marietta. »Er wollte die ganze Zeit mit dir sprechen. Wo warst du eigentlich?«
»War das schon alles?« Laurenti zeigte auf den Papierstapel, mit dem seine Assistentin sich frische Luft zufächelte.
Ein junger Mann hatte seine Mutter wegen Stalking angezeigt. Dabei versuchte die verzweifelte Frau nur, mit Hunderten von SMS, Mails und Telefonaten, den Kontakt zu ihrem Sohn wieder zu normalisieren. Niemand konnte es ihm ausreden. Ein Beruf im Dienst des Bürgers. Dafür aber hatten die Kollegen von der Polizia Stradale nach monatelanger Fahndung eine Bande dingfest gemacht, die sich auf den Diebstahl von Luxuslimousinen in Westeuropa spezialisiert hatte, die auf dem Balkan neue Eigentümer finden sollten. Die Nachfrage musste enorm sein. Diebstahl, Einbrüche und Raub hatten zugenommen, seit die Wirtschaft hinkte. Die nahe Grenze war kein Hindernis. Zwei Italiener aus Bergamo hatten einen Banküberfall in der slowenischen Nachbarstadt Portorož verübt und bei der Schießerei einen Polizisten verletzt, bevor sie mit ihrer Beute die Flucht nach Westen versuchten, wo sie sich vor Verfolgung sicher fühlten. Auf allen Seiten kämpfte man mit den gleichen Problemen. Neu war nur, dass in Gorizia ein räuberisches Pärchen versucht hatte, sein Einkommen dadurch zu steigern, auf Friedhöfen Vasen, Grabinschriften, Plaketten und Skulpturen aus Kupfer und Bronze zu stehlen; an den Börsen stieg der Preis der Rohstoffe eklatant.
»Und was hast du von der Sonderkommission erfahren? Ich habe denen einen Riesengefallen getan. Sie haben den ersten Verdächtigen, den sie durch den Fleischwolf drehen werden, bis er aussagt.«
»Battinelli hat mitgeteilt, dass der Werttransporter auf einem Autobahnparkplatz in Kärnten gefunden wurde. In einem mit Stahlplatten ausgeschlagenen Sattelschlepper, der das GPS-Signal des Lieferwagens abschirmte. Der Lkw stand seit Freitagmittag dort, was wegen des Wochenendfahrverbots nicht weiter auffiel. Heute früh haben ihn die Österreicher endlich überprüft. Ziemlich raffiniert, finde ich. Die Anführer der Bande haben alles eingeplant.«
»Bis auf die Blödheit von Mimmo und diesem Pixner. Wo genau?«
»Auf einem Rastplatz zwischen der Grenze und dem Knoten Villach.« Marietta zog das Blatt mit der Meldung hervor. »Die haben das Gold nach Norden gebracht. Jetzt liegt noch mehr Geld dubioser Herkunft in Kärnten rum.«
»Was macht dich so sicher, dass dies keine falsche Fährte ist?«
»Sie standen mächtig unter Zeitdruck. Übrigens stehen zwei weitere Tatverdächtige auf der Liste. Einer aus Südtirol, der andere aus Sizilien. Auch diese beiden haben in Tolmezzo gesessen.«
Laurenti horchte auf. Xenia hatte also endlich die Sonderkommission informiert.
»Ich bin froh, dass wir den Fall nicht am Hals haben«, fuhr Marietta fort. »Über Spechtenhauser habe ich dafür eine Menge Informationen ausgegraben.«
Laurenti warf einen Blick auf die Uhr. »Bestell für zwölf Uhr eine Abteilungssitzung ein. Ich habe jetzt noch einen Termin.«
Die Kataloge, die Proteo Laurenti unter dem Arm getragen hatte, als er aus dem Reisebüro trat, lagen verstreut auf dem Gehsteig. Nur mit Mühe hatte der Commissario sich fangen können,
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