Im eigenen Schatten
zum Rest des Landes so wenige Verbrechen auswies. Nur Südtirol, wo, wie schließlich ein jeder wisse, eine völlig andere Mentalität herrsche, sei wirklich sauber. Laurenti log, dass er damit rechne, zur Wochenmitte erste Resultate vorweisen zu können. Noch warte man auf die Auswertungen der Kriminaltechnik, doch die Fakten sprächen für sich und er benötige nur noch die Bestätigung.
Kaum hatte er sich um Viertel vor neun von der Familie verabschiedet und ans Steuer seines Wagens gesetzt, klingelte sein Mobiltelefon schon wieder. Weibermontag. Es war die Nummer einer Kollegin der Grenzpolizei, die am Übergang Fernetti Dienst schob, über den der Verkehr aus Ljubljana nach Triest lief. Der Commissario schätzte sie wegen ihrer inneren Ruhe und der Zielstrebigkeit, mit der sie ihrer Arbeit nachkam. Sie berichtete in knappen Worten und bat um seine Hilfe. Der Erzengel habe sich im Auto verbarrikadiert, nachdem er die Polizeisperre durchbrochen hatte, in die er kurz hinter dem Grenzübergang gefahren war. Nach einer wilden Verfolgungsjagd hatten die Kollegen ihn am Ortseingang von Opicina gestellt. Jetzt saß er mit verriegelten Türen in dem Wagen mit den platten Reifen, tobte, sobald sich jemand näherte, und drohte mit dem Schlimmsten. Ob er wirklich eine Handgranate in der Jackentasche in der Hand hielt, wage niemand mit Bestimmtheit zu dementieren. Der Wagen trug ein österreichisches Kennzeichen und war in Wolfsberg am frühen Morgen als gestohlen gemeldet worden. Jeder wusste, dass es nur Laurenti gelingen könne, Mimmo Oberdan zu beruhigen, wenn der am Durchdrehen war.
Wer zum Teufel hatte die Medien informiert? Zwei Teams der regionalen Fernsehsender standen vor dem Plastikband, das die Polizisten in weitem Abstand um den Ort des Geschehens gezogen hatten. Die Kameras verfolgten Laurenti, als er mit Blaulicht und Sirene an den wartenden Autos vorbeiraste. Eine Reporterin rannte ihm mit dem Mikrofon in der ausgestreckten Hand entgegen. Der Commissario wehrte sie brüsk ab und schickte sie entschieden hinter die Absperrung zurück. Die Kollegin, die ihn verständigt hatte, umriss die Lage. Der Mann im Wagen habe wüste Drohungen ausgestoßen, die Lage sei brenzlig. Sie reichte Laurenti eine kugelsichere Weste, die er lächelnd ablehnte und dann zu dem roten Auto hinüberging.
»Endlich, Mimmo. Du hast mir gefehlt. Aber warum hast du mich ausgerechnet hierher bestellt und auch noch einen solchen Zirkus veranstaltet? Wir hätten uns wie üblich in einer Bar verabreden können. Und heute ist Montag, was ist mit deiner Arbeit? Bist du krankgeschrieben, geht’s dir schlecht? Brauchst du einen Arzt?« Laurenti stand neben dem halb geöffneten Seitenfenster, aus dem Zigarettenqualm stieg. Seine Stimme klang ruhig, fast freundschaftlich. Eine Hand hatte er auf das Wagendach gelegt. »Die Haare stehen dir von der Birne ab, als hättest du einen Stromschlag erlitten. Du hast schon besser ausgesehen.«
»Leck mich.«
»Dazu musst du aussteigen.«
»Das würde dir so passen. Und nimm die Pfote vom Dach. Ich will sie sehen können.«
»Hast du eine Zigarette für mich, Mimmo?«
»Schmarotzer.«
»Seit Tagen habe ich dich vergeblich zu erreichen versucht. Dein Telefon ist kaputt.«
»Die Roamingkosten sind unverschämt teuer.«
»Meine Chefin wird mir die Hölle heißmachen, weil ich nicht im Büro bin. Nur wegen dir.«
»Schick die Arschlöcher weg, Bulle.« Die rechte Hand des Erzengels steckte tief in der ausgebeulten Tasche seiner Lederjacke.
»Zigarette.« Laurenti griff in das Auto hinein, das halbvolle Päckchen lag auf dem Armaturenbrett. Blitzschnell schloss Mimmo das Fenster und klemmte seinen Arm ein.
»Kauf dir welche und zieh schön langsam deine Pfote zurück. Mir ist nicht zum Scherzen zumute.« Er ließ das Fenster wieder ein Stück hinunter.
»Du wirst groß in die Nachrichten kommen, Blödmann.« Laurenti zog seinen Arm zurück. Das Fenster stand jetzt ein paar Zentimeter weiter offen. »Wenn du willst, handle ich deine Gage mit denen aus.«
»Das wird mein Rechtsanwalt übernehmen.« Der Erzengel schmiss mit einer entschiedenen Kopfbewegung sein Haar zurück und warf einen eitlen Blick in den Rückspiegel.
»Du solltest den Lidschatten nachziehen. Wenn du mir endlich eine deiner Kippen spendierst, frage ich die Kollegin, ob sie dir ihr Schminkzeug leiht.«
Sechs uniformierte Beamte der Grenzpolizei standen in kugelsicheren Westen und mit ausdruckslosen Gesichtern in fünf Meter
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