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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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als er direkt vor der Ladentür über die Leine stolperte, an der Dottor Galvano seinen hinkenden schwarzen Hund ausführte. Und nicht nur der Commissario hätte sich fast den Hals gebrochen. Der störrische Greis kümmerte sich einen feuchten Kehricht um die Gesundheit seiner Mitbürger. Gut sieben Meter Leine trennten ihn und den Köter. Immer wieder schimpfte jemand, ob die beiden wirklich den ganzen Gehweg für sich beanspruchen mussten.
    Im Stadtzentrum herrschte geschäftiges Treiben. Vor den Bars trafen sich bereits die Ersten zum Aperitif, an denen Geschäftsleute in grauen Anzügen mit Aktentaschen in der Hand vorbeihasteten, um bei den Behörden ihre Unterlagen noch vor Beginn der Mittagspause zu deponieren. Anwälte, Notare, Angestellte der großen Versicherungsgesellschaften, Architekten, Mitarbeiter der Handelskammer, der Landesregierung oder aus dem Rathaus – auch sie würden erst nach der Einnahme eines Mahls an den Tischen der immergleichen Restaurants wieder an den Schreibtisch zurückkehren. Die Ladeninhaber schlossen ihre Geschäfte erst eine Stunde später. Ein Schichtbetrieb der langen Mägen, dem die Agonie der Verdauenden folgte, bevor am Spätnachmittag sich die Betriebsamkeit allmählich wieder erhob und den Gipfel ihrer Geschäftigkeit erst wieder zur Stunde des Aperitifs am frühen Abend erreichte.
    »Sehr freundlich, Galvano«, knurrte Laurenti, während er die Kataloge einsammelte. »Ich hoffe, du hast eine gute Haftpflichtversicherung. Nimm gefälligst den Hund etwas kürzer, das ist ja lebensgefährlich.«
    »Willst du verreisen, Laurenti?«, fragte der hagere alte Mann ungerührt, der wie immer im grauen Dreiteiler ausgegangen war. Selbst die größte Hitze konnte nicht an seinem konservativen Auftritt rütteln. Laurentis Ermahnung ließ ihn kalt. »Oder versuchst du deine Frau davon zu überzeugen, sich eine Weile von dir zu erholen? Vor fünf Minuten erst habe ich sie angerufen und ihr gratuliert. Sie hat sich wahnsinnig gefreut und mich zum Abendessen eingeladen. Solch ein Goldstück hast du wirklich nicht verdient. Wie hält sie es bloß mit dir aus?«
    Clouseau, der schwarze Hund mit seinen vom grauen Star getrübten Augen, wedelte altersmüde mit dem Schwanz und leckte die Hand des Kommissars. Die lange Leine lief von Galvanos Hand um ein Halteverbotsschild zu Laurenti hinüber.
    Ein schriller Aufschrei weckte die Aufmerksamkeit der Passanten. Vom Gehweg erhob sich eine junge Frau in blauer Bluse und einem beigefarbenen Rock und klaubte ihre dünne Handtasche und das Mobiltelefon zwischen zwei am Straßenrand geparkten Motorrollern aus dem Rinnstein.
    »Verdammt, können Sie denn nicht auf Ihren Köter aufpassen?«, rief sie empört und betastete ihre Knie, deren Haut etwas aufgeschürft war. Ihr Lippenstift und der Nagellack waren so hell wie ihr wasserstoffblondes Haar.
    »Schau, wohin du gehst, Lady Gaga«, schnauzte Galvano sie an. »Puttana Eva zoccola bastarda!«
    »Und dann auch noch ausfällig werden. Schämen Sie sich.« Furchtlos baute sich die Frau vor Galvano auf. »Seien Sie bloß froh, dass kein Polizist in der Nähe ist, sonst würde ich Sie auf der Stelle anzeigen.«
    »Wir Älteren haben Respekt und Rücksicht verdient. Ohne uns gäbe es euch gar nicht.«
    Ohne den Blick von der Frau zu nehmen, zog der pensionierte Gerichtsmediziner vergeblich an der Leine. Laurenti hatte sie vom Halsband Clouseaus gelöst, am Fuß des Verkehrsschilds verknotet, und den Hund einige Meter weiter in den Schatten geführt, von wo er amüsiert dem Zwist folgte.
    »Die Welt ist voll von rücksichtlosen, egoistischen und senilen Trotteln wie Sie«, kreischte die junge Frau. »Eure Renten bezahlen wir Jungen. Wir reißen uns den Arsch auf, nur damit ihr uns das Leben schwermacht. Überfahren sollte man solche Arschlöcher wie Sie. Ihr Gesicht vergesse ich bestimmt nicht.«
    Dann wandte sie sich abrupt ab. Humpelnd entfernte sie sich, während Galvano ihr mit offenem Mund nachschaute. Normalerweise blieb ihm das letzte Wort.
     
    »Hier die Handelsregisterauszüge, die Melderegisterauszüge, Kontostände und Firmenbeteiligungen Spechtenhausers. Seine Exfrau sitzt mit an den Schalthebeln, und Rechtsanwalt Ernesto Galimberti ist der Justitiar der Familienholding. Obwohl er eigentlich Strafrechtler ist. Seine Kanzlei liegt an der besten Adresse im Stadtzentrum von Bozen, der ganze Palazzo gehört ihm, eine Villa im nobelsten Wohnviertel ebenfalls. Der Mann hat Geld wie Heu, er ist in

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