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Im falschen Film 1

Im falschen Film 1

Titel: Im falschen Film 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Mansini
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Station schräg anschaute und wahrscheinlich befürchtete, ich würde mir private Leistungen erschleichen wollen, stellte ich die Besuche dort ein.
    Bis zum Tag meiner Entlassung. An diesem würde ich die Geburtsstätte meines neuen Ichs hinter mir lassen. Ich hatte Angst, damit auch Tom zurückzulassen.
    Das gab mir genügend Kraft, um an die Tür von Zimmer 137 klopfen zu können. Von Viktorias Zimmer. So hieß Toms Frau. Als ich sie das erste Mal sah, musste ich schlucken. Es waren mittlerweile fünf Tage vergangen seit dem Unfall, man konnte noch diverse Verletzungen an ihrem Körper sehen. Aber das war nicht das, was mir die Sprache verschlug. Nein, es war ihre Schönheit. Ein makelloses, gepflegtes Gesicht mit großen, smaragdgrünen Augen, in die man versinken konnte. Lange, blonde Haare, die auch hier im Krankenhaus perfekt geglättet waren – oder fielen sie etwa von Natur aus so? Ich wusste natürlich nicht, ob ich jemals Empfindungen für mein eigenes Geschlecht gehabt hatte, aber bei dieser Frau konnte ich mir das vorstellen. Gleichzeitig schmerzte es, ihre Schönheit zu sehen, denn sie machte Tom nur noch unerreichbarer. Dieses Paar, diese Familie war nicht von dieser Welt.
    „Kann ich Ihnen helfen?“
    Sie schaute mich fragend an. Wahrscheinlich weil ich erst einmal eine Minute sprachlos in ihrem Zimmer gestanden hatte.
    „Mh, ja, entschuldigen Sie. Ich bin Trixi Kwiatkowski. Ich …“
    „Oh“, sagte sie und wurde sofort ganz weich und zugewandt.
    „Kommen Sie herein. Es tut mir so leid, dass ich Sie bisher nicht besuchen konnte. Mein Mann hat mir erzählt, dass er Sie getroffen hat …“
    Sie drückte sich sehr gewählt aus und sprach mit einer wunderbar klaren Stimme. Wie sie da so vor mir lag, trotz diverser Bandagen mit einem stilvollen Kaschmir-Cardigan über ihrem Seidenpyjama und den stilistisch passenden Socken, fühlte ich mich wie in einer Folge von „Downton Abbey“.
    „Um Gottes willen. Sie müssen doch nicht zu mir kommen!“, sagte ich und fügte in Gedanken ein „Milady“ an den Satz an.
    „Ich hatte aber das Bedürfnis. Ich habe Sie schließlich übersehen. Auf der Straße.“
    „Wissen Sie doch gar nicht. Genauso wenig wie ich.“
    Ich lächelte schief. Sie blieb sehr ernst.
    „Der Fußgänger ist immer der Schwächere. Ich hätte besser aufpassen müssen. Es tut mir unendlich leid.“
    Was sollte ich dazu sagen? Sie war eine Schönheit und eine Heilige noch dazu.
    „Wie geht es Ihnen denn?“, fragte sie.
    Eigentlich hätte ich das fragen sollen.
    „Gut. Ich werde heute entlassen.“
    „Oh, wie schön. Das freut mich für Sie.“
    Tat es wirklich. Das wirkte kein bisschen gespielt. Sie begann, mir Komplexe zu machen.
    „Und wie geht es Ihnen?“, fragte ich schließlich.
    „Besser. Sehr viel besser. Ich kann nächste Woche in eine Rehabilitationseinrichtung gehen.“
    „Oh, wie schön.“
    Mehr fiel mir dazu nicht ein. Aber ich musste irgendetwas sagen.
    „Und was machen Sie dann dort?“
    „Wieder laufen lernen. Hoffentlich.“
    Sie lächelte tapfer. Bisher hatte es keiner ausgesprochen. Jetzt lag es auf dem Tisch: Viktoria drohte der Rollstuhl.
    „Trotzdem möchte ich nicht mit Ihnen tauschen“, sagte sie plötzlich. „Meine Erinnerungen zu verlieren … Das ist ja wie mich selbst verlieren.“
    Einmal mehr machte sie mich sprachlos. War sie auch noch empathisch und brillant? Irgendetwas tief in mir drinnen begann, negative Gefühle dieser Frau gegenüber zu entwickeln. Sie war einfach zu viel des Guten.
    Bevor ich auf diese geradezu gemeine Einfühlsamkeit antworten konnte, hörte ich hinter mir: „Fick sie!“
    Nein, es war natürlich eher „Fixi“, denn es kam aus dem unschuldigen Mund der liebreizenden Ava, die soeben mit ihrem Vater ins Krankenzimmer gekommen war. Erst hatte sie nur mich gesehen und lächelte darüber erfreut. Aber wenn ich die Freude als Kompliment empfand, dann mutierte sie im Vergleich zur Beleidigung, als das Kind seine Mutter sah.
    „Mami!“, rief Ava noch drei Oktaven höher, während in ihrem Gesicht die Sonne aufging. Sie stürzte sich von Toms Arm in die Tiefe und rannte zu ihrer Mutter. Verzweifelt versuchte das Kind, auf das viel zu hohe Krankenbett zu klettern, sodass Tom schnell helfen musste, damit die arme halb gelähmte Frau sich nicht den nächsten Knochen brechen würde. Kaum war Ava oben, umarmte sie ihre Mami, als ob das Kind die letzten drei Wochen in einem usbekischen Gefängnis verbracht hätte. Dabei war

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