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Im falschen Film 1

Im falschen Film 1

Titel: Im falschen Film 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Mansini
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notorisch überforderte Assistentin. Ich war mir sicher: Sie konnte nicht halb so überfordert sein wie ich.
    Ich erlebte zwei unfassbar deprimierende Tage und schlaflose Nächte, während derer ich versuchte, mit mir klarzukommen. Genauer gesagt mit meinem Leben vor der Amnesie. Es hatte offensichtlich nicht allzu viel mit dem zu tun, was ich wirklich dachte. Denn ich hatte ja nicht meine Persönlichkeit verändert – zumindest hatte Professor Bosch das ausgeschlossen. Und auch Christian sagte, dass ich immer noch denselben trockenen Humor hatte, den er „an mir so liebte“. Also lag auf der Hand: Ich hatte ein Leben gelebt, das ich gehasst haben musste. Ich hatte nicht nur den falschen Ehemann und keinen vernünftigen Job, ich hatte auch noch eine furchtbare Wohnung, offensichtlich keine Freunde, war denkbar unbeliebt bei den Nachbarn und ging einer sexuellen Leidenschaft nach, die mir keinerlei Befriedigung brachte. Denn der Gedanke, nackt gefesselt und geknebelt mit heißem Wachs übergossen zu werden, führte bei mir nicht zu ekstatischen Hochgefühlen, sondern einfach nur zu einem großen „Aua!“. Hatte ich wirklich all den Kram mitgemacht, den Christian andeutete? Alleine im Bad begutachtete ich meine Brustwarzen und auch mal wieder alles „unten rum“, denn eigentlich hätte ich dort ernsthafte Wunden finden müssen. Dass das nicht der Fall war und sich auch keine Striemen auf meinem Rücken fanden, erklärte Christian mit einem lapidaren „Ist schon eine Weile her, dass wir richtig zur Sache gegangen sind“. Mehr wollte ich dann auch gar nicht wissen.
    Richtig traurig wurde es, als ich die Mails auf meinem Computer durchging. Ich hatte wirklich keine Freunde. Zu meinem dreißigsten Geburtstag hatten mir meine Bank, ein paar Kollegen von Christian, seine Tochter Paula (unfreundlich) und ein Internetforum namens „Filmfunfacts“ gratuliert. Christian behauptete zwar, es hätten auch noch ein paar Leute angerufen, aber auf die Frage, wer meine beste Freundin war, druckste er eine Weile herum und kam dann wieder mit einem seiner üblichen Sprüche: „Ich bin deine beste Freundin!“
    Ich konnte es nicht mehr hören.
    „Nein, im Ernst“, sagte er, als er meine Reaktion sah. „Du hattest nicht viele Freunde. Du hast dich eher zurückgezogen. Filme und Serien, Bücher – das war deine Welt!“
    In der Tat hatten wir eine beachtliche Auswahl an DVDs und Büchern. Und auf meinem Computer fand ich zahllose heruntergeladene Dateien mit weiteren Filmen und Serienfolgen. An die ich mich allesamt erinnerte. Nicht an die Dateien, aber an das, was in ihnen zu sehen war. Doch die fiktiven Welten interessierten mich in dem Moment nicht. Ich wollte mehr über mich erfahren. Über mein Leben!
    Also grub ich mich tiefer in meine alten Mails, die aber leider auch nicht länger als ein halbes Jahr zurückgingen, weil ich offensichtlich kein Genie im Umgang mit Computern war und irgendwann alles aus Versehen gelöscht hatte. So ähnlich wie meine Erinnerung.
    „Vielleicht hat die NSA die Mails ja noch. Oder die CIA!“, witzelte Christian.
    Einen Facebook-Account hatte ich auch nicht. Wahrscheinlich aus Angst davor, dass andernfalls alle sehen konnten, dass ich keine Freunde hatte. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es dann aber doch noch: Ich entdeckte bei meinen Mails die Mitteilung, dass ich vor einiger Zeit einen weiteren Mail-Account mit dem Namen „Olenska83“ eingerichtet hatte. Dummerweise war dafür aber das Passwort nirgends verzeichnet. Ich probierte allen möglichen und unmöglichen Krempel durch, den ich in den letzten Tagen über mich gelernt hatte. Von „Christian“ über „Game of Thrones“ bis hin zu „Mayday“ – dem Safeword, das wir laut Christian für unsere Sexspielchen vereinbart hatten, falls ich mal nicht mehr gepeitscht werden wollte. Das richtige Passwort war nicht dabei.
    Unnötig zu erwähnen, dass all das auch keinerlei Erinnerungen bei mir weckte. Ich hatte mittlerweile die Hoffnung aufgeben, dass sie von alleine wiederkommen würden. Also musste ich weitersuchen. Fotos mit oder von mir? Es fanden sich erstaunlich wenige, dafür, dass ich Fotografin war. Es gab zwar ein paar durchaus schöne Mappen mit Bildern, die ich selbst gemacht hatte – aber es waren keine Menschen darauf. Oder wenn, dann nur Passanten, Fremde, zufällige Begegnungen. Die Bilder gefielen mir, es waren gut beobachtete alltägliche Situationen, interessante Perspektiven, fast intime Momente.

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