Im Feuer der Nacht
dich eitel nennen.“ Aber er war anmutig, tödlich anmutig.
Jetzt berührten beide Füße ihren Stuhl. „Schlangen sind sehr… anders. Die Leute scheinen sich instinktiv vor ihnen zu fürchten. Selbst wenn sie in menschlicher Gestalt auftreten. Aber das macht sie nicht weniger menschlich.“
„Nein“, stimmte sie zu, ihr fiel ein, wie die Gesellschaft ihre Kinder verurteilte.
„Vor langer Zeit habe ich mal eine nach der Verwandlung gesehen. Sie hatte eine schwarze Zeichnung in der Form von Diamanten, die wie Ölpfützen im Regen schimmerten– wie kleine Regenbogen.“
Eine wunderschöne Vorstellung. „Warum sollten sie die Höhlen verlassen haben?“, fragte sie.
„Es kann Hunderte von Gründen dafür geben– vielleicht hat sich die Kolonie aufgelöst, oder sie sind woanders hingezogen.“ Er zuckte die Achseln. „Erzähl mir von den toten Kindern.“
So schnell war die kleine Atempause vorüber. Nichts mehr über geheimnisvolle Gestaltwandlerschlangen und schöne Kornfelder. Aber seine Füße befanden sich immer noch an ihrem Stuhl. Daraus zog sie Kraft und fing ganz von vorn an. „Mit sechzehn habe ich die Larkspurs verlassen und mich für ein Stipendium bei der New York University beworben.“ Zu ihrem eigenen Erstaunen hatte sie sich als ziemlich helle erwiesen, sobald man ihr die Möglichkeit zum Lernen geboten hatte. Das Fegefeuer der Highschool hatte sie zwei Jahre früher als andere hinter sich gebracht.
Clay saß schon wieder so katzenhaft still da, dass sie nicht einmal seinen Atem hörte. „Du hast den Larkspurs nie eine Chance gegeben, stimmt’s?“
„Ja.“ Das war die einfache und schmerzhafte Wahrheit. „Das Stipendium kam von der Shine -Stiftung.“ Sie sah ihn an, kannte er den Namen vielleicht?
„Von Menschen ins Leben gerufen“, sagte er. „Finanziert durch Spenden wohlhabender Mäzene.“
„Ihr Ziel ist es“, nahm sie den Faden wieder auf, „kluge, aber unterprivilegierte Kinder zu unterstützen, die sonst nie mit ihren Leistungen glänzen könnten. So steht es in der Broschüre, und genau das tun sie meiner Meinung nach auch. Die Kinder, um die ich mich kümmere, sind alle in irgendeiner Weise benachteiligt.“
„Welche Fächer hast du studiert?“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Kinderpsychologie und Sozialarbeit.“
„Du hast doch Sozialarbeiter gehasst.“
„Ironie des Schicksals, was?“ Sie verzog geniert das Gesicht. „Ich dachte, ich könnte es besser machen. Aber ich bin nie in die Behörden hineingekommen. Als ich mit einundzwanzig meinen Abschluss gemacht hatte, haben sie mir gleich einen Posten im Stiftungsprogramm für Straßenkinder angeboten.“
Er drängte sie nicht, endlich zur Sache zu kommen, und dafür war sie ihm dankbar. Sie musste sich dem Entsetzlichen vorsichtig nähern, war nicht sicher, ob sie es in vollem Ausmaß ertragen würde. „Wir holen die Kinder von der Straße weg und bringen sie in die Schule oder verschaffen ihnen eine Ausbildung. Devraj, der Stiftungsdirektor, kümmert sich darum, dass es weder Korruption noch Bevorzugung gibt.“
„Hört sich ehrenwert an.“ Offener Zynismus.
Sie wurde wütend. „Das ist es auch. Die Stiftung tut sehr viel Gutes. Sie hilft so vielen.“ Er hatte kein Recht, sich darüber lustig zu machen. „Ich arbeite mit den Elf- bis Sechzehnjährigen zusammen.“
„Harte Klientel.“
„Das kannst du wohl sagen.“ Stolz und unwillig, die Hand zu ergreifen, die sie ihnen reichte. „Ich habe von allem etwas: Ausreißer, nette arme Kinder und Gangmitglieder, die aussteigen wollen.“
„Wie ist eure Erfolgsquote?“
„Etwa siebzig Prozent.“ Die restlichen dreißig, die Verlorenen, brachen ihr das Herz, aber sie machte trotzdem weiter. Sie konnte es sich nicht leisten, aufzuhören, denn darunter würden die anderen leiden.
„Du hast gesagt, Mickey war einer von ihnen?“
Sie nickte kurz. „Diana auch. Man hat sie diese Woche gefunden, ungefähr zur selben Zeit wie Iain. Er wurde von einem Kollegen in San Francisco betreut. Dreizehn Jahre– und konnte schon sieben Sprachen! Kannst du dir vorstellen, was aus ihm hätte werden können?“
„Alle drei von Shine ? Interessanter Zufall.“
„Eigentlich nicht. Der Mörder und die Stiftung fischen im selben Teich– ausgegrenzte und schutzlose Kinder.“
Clay nickte. „Ja.“
„Und die anderen neun, von denen mir Max erzählt hat, stammen von überall her. Kein einziges von ihnen war bei Shine .“
„Es gibt also
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