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Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan McCafferty
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dem einstöckigen Anwesen der Queen wiederfand, ihrem Ruf gemäß in herrschaftlichem Purpur gestrichen, da war er froh, dass er auf den Einheimischen gehört hatte, der ihm durch die sprühenden Späne der Kreissäge heute Nachmittag den Tipp gegeben hatte. Natty hingegen war nicht besonders begeistert und blieb lieber im Taxi sitzen, das mit laufendem Motor am Straßenrand stand, damit der Fahrer nicht ohne sie abhaute.
    Â»Wir weer’n hier alle hopsgeehn«, sagte er im breitesten Texas-Twang, in den er immer verfiel, wenn er zu viel trank oder sich zu lange in südlichen Bundesstaaten aufhielt. An diesem Abend traf beides zu.
    Â»Wir werden nicht hopsgehen«, beruhigte ihn Marcus, während er vorsichtig die ausgetretenen Stufen zur schiefen Schwelle hinaufstieg. Er wollte gerade klingeln, als er das metallische Knirschen mehrerer Schlösser hörte. Die innere Tür schwang auf, und als Erstes drang eine süße Wolke von getrockneter Sassafraswurzel und Zigarrenrauch heraus, die schließlich den Blick auf eine Kreolin im verblichenen gepunkteten Hauskittel freigab, die keinen Tag älter als 150 Jahre aussah.
    Â»Verflucht noch mal«, grummelte die Queen. »Schon wieder einer.«
    Â»Tut mir leid, wenn ich Sie störe«, sagte Marcus, der sich gerade noch zügeln konnte, um nicht gesenkten Hauptes vor ihr niederzuknien.
    Â»Na sicher«, sagte sie. »Das sagen alle.«
    Sie betrachtete Marcus durch die aufgeschlitzte Fliegengittertür, wartete anscheinend auf ein Zeichen der Loa, ob er den Test bestand. Er blieb schweigend stehen und betrachtete kolibrigroße Motten, die sich ins unwiderstehliche Lampenlicht stürzten, und zuckte jedes Mal zusammen, wenn eine mit metallischem Ding! ihr Ende fand.
    Â»Yo, ist recht«, stimmte die Queen schließlich zu, wobei nicht klar war, ob sie mit Marcus redete oder mit den allwissenden Untoten. Sie deutete auf einen langen Schlitz im Fliegengitter und sagte: »Gib her, Schätzchen.«
    Gehorsam schob Marcus fünf Zwanziger durch den Schlitz, wie man ihm geraten hatte.
    Sie zählte nach und steckte sie in die Vordertasche ihres Kittels, dessen Stoff so dünn geworden war, dass Marcus auf dem äußeren Schein immer noch die wilde Frisur von Andrew Jackson erkennen konnte. Dann gab die Queen ihm ein Zeichen, die Hand durch die gleiche Öffnung im zerrissenen Gitter zu stecken. Sie schloss die Augen, als sie seine Hand in ihre Hände nahm, die sich anfühlten wie die von Jessicas Großmutter oder den vielen anderen alten Patientinnen, die er während seines Sozialdienstes im Wohnpflegeheim Silver Meadows betreut hatte – zerbrechlich, wie zerfallendes Papier oder die Flügel der selbstmörderischen Motten. Damals war es ihm seltsam erschienen, dass er an Gladdie denken musste, die ihm seit Jahren nicht in den Kopf gekommen war. Er dachte an seinen letzten Besuch bei ihr vor ihrem Tod – sie hatte ihn bei ihrem liebsten Kartenspiel »Hearts« mit riskanter Taktik vernichtend geschlagen – und dann natürlich an Gladdies Totenwache, als er der trauernden Jessica kühn ins Bad gefolgt war, die Tür hinter sich verschlossen und sie geküsst hatte – hungrig, leidenschaftlich und zum allerersten Mal –
    Plötzlich ließ die Queen ihn los. Nicht mehr als zehn Sekunden waren vergangen.
    Â»Du wirst umgehaun wer’n«, sagte sie.
    Â»Umgehauen?«, fragte Marcus, um sicherzugehen, ob er sie richtig verstanden hatte. »Von einem Auto überfahren?«
    Â»Neeeeee.« Sie gackerte. »Schlimmer.«
    Â»Von einem Bus?«
    Â»Von ihr «, sagte sie mit Nachdruck, und die Macht des Pronomens tat ihre Wirkung.
    Marcus klappte die Kinnlade runter. Die Tür der Queen knallte zu.
    Â»Runter von meiner Veranda«, rief sie von drinnen. »Ich will jetzt American Idol gucken.«
    Natty verspottete Marcus die ganze Rückfahrt. »Hundert Dollar in den Sand! Das sind zehn Hurricane Katrinas! Oder ein verdaaaammt heißer Strip!«
    Jetzt, am Flughafen, schmeißt Natty sich immer noch weg vor Lachen. »Alter, ehrlich. Du glaubst der Queen?«
    Â»Zuerst nicht«, sagt Marcus und legt den Kopf schräg, damit er Natty in die Augen sehen kann. »Bis Jessica Darling mich umgerannt hat, als du da drinnen pinkeln warst.«
    Natty glaubt immer noch, dass er irgendwie aufs Kreuz gelegt werden soll, auch wenn er sich

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