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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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Der Mann hatte gar nicht zugehört, sondern weiter nachdenklich die Fotos betrachtet.
    »Alle in meiner Dunkelkammer im Keller.«
    Der Mann stand auf und zog dabei den Bund seiner Hose hoch.
    »Na, ein Segen, dass jetzt alles verschwindet, nicht wahr, Hikmet?« Er lächelte. »Das bedeutet allerdings, dass Sie leider auch verschwinden müssen.«
    »Was?«
    Die beiden Männer, die den Fremden in Hikmets Haus begleitet hatten, tauchten aus dem Nichts auf, der eine mit einem Benzinkanister, der andere mit einem Messer in der Hand.
    »Aber wenn Sie mich umbringen, wird irgendjemand Ermittlungen anstellen. Irgendjemand wird es erfahren!«, rief Hikmet voller Entsetzen.
    »Oh, ich glaube, die Gefahr besteht nicht«, erwiderte der Mann ruhig. Dann schnitt der größere seiner beiden Begleiter Hikmet Sivas die Kehle durch, als schlachte er eine Bergziege.
    »Leb wohl, Hikmet.«
    Nachdem er das Haus gründlich mit Benzin getränkt hatte, warf der Mann ein brennendes Streichholz auf den Boden und ging. Kurz zuvor hatte er nacheinander seine beiden Begleiter erschossen – zwei Männer, die di Marco freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Abschaum, den er ohnehin loswerden musste.
    Der Mann verließ das Haus, den Bundesstaat und schließlich das Land. Es gab anderswo andere Dinge zu erledigen.
    Trotz aller Bemühungen der Feuerwehr von Los Angeles brannte das Haus bis auf die Grundmauern nieder. Nur der halbmondförmige Pool im Garten blieb intakt.
     
    Hürrem İpek starrte aus dem Küchenfenster, den Blick ins Leere gerichtet. Mittlerweile dämmerte es, und der Mann, der ihr gegenüber am Tisch saß, wirkte eher wie ein Gespenst denn wie ein Mensch.
    »Dieses Ungeheuer Schiwkow ist also tatsächlich tot.«
    »Ja«, sagte İkmen. »Wir haben ihn letzte Nacht erschossen. Bei dem Einsatz im Yıldız-Park.«
    »Wer?« Sie wandte den Blick vom Fenster ab und schaute İkmen in die Augen. »Wer hat ihn erschossen?«
    »Wir …«
    »Welcher Beamte? Wie heißt er?«
    İkmen blinzelte heftig gegen die Müdigkeit an, wandte den Blick ab und tastete sich zu einer Halblüge vor.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Es war alles sehr grausam und verwirrend.«
    »Ich würde ihn gern küssen«, sagte Hürrem tonlos. »Ich würde ihn gern in die Arme nehmen und küssen. Verstehen Sie das?«
    »Ja.«
    »Er hat meine Tochter gerächt. Ich schulde ihm alles, was ich habe.« Sie senkte den Kopf und fing lautlos an zu weinen.
    »Er hat nur seine Pflicht getan«, erwiderte İkmen leise. Das Lügen machte ihm keine Freude, aber er hatte das Gefühl, dass er die Geschichte um ihretwillen ausschmücken musste. »Seine und unsere Belohnung besteht darin, dass Hatice nun in Frieden ruhen kann.«
    Hürrem İpek weinte so heftig, dass sie ihm nicht antworten konnte. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben, ihr ganzer Oberkörper bebte, Tränen liefen zwischen ihren Fingern hindurch und an ihren Armen hinunter. Auch İkmen emp fand Schmerz in dieser kleinen, allmählich dunkler werdenden Küche. Die arme Frau hatte die ganze ungekürzte und ungeschminkte Version der Geschichte verdient, sie sollte wissen, dass Mächte, die weit über dem schrecklichen Schiwkow standen, schon vor vielen Jahren einen Apparat aufgebaut hatten, der letztendlich zum Tod von Hatice geführt hatte. Doch wenn er ihr das erzählte, würde er sie in Gefahr bringen, und das durfte er nicht. Es war schon schlimm genug, dass von irgendwo her jemand kommen und ihn fragen konnte, was er über die ganze Sache wusste. Jemand mit einer Macht, die seine Vorstellungskraft überstieg.
    »Und Sie«, sagte Hürrem und hob den Kopf, »Sie haben mir versprochen, dass Sie das für mich tun würden, Inspektor. Sie haben es getan. Ich werfe mich Ihnen zu Füßen!«
    Und im nächsten Moment sprang sie von ihrem Stuhl auf und kniete vor ihm nieder, das feuchte Gesicht auf den billigen Linoleumfußboden gepresst.
    Verwirrt und verlegen stand İkmen auf. »Frau İpek!«
    »Ich bin es nicht wert, Ihnen das Wasser zu reichen!«
    Wieder diese Redewendung, beinahe wörtlich das Gleiche, was Hikmet Sivas zu seiner Schwester Hale gesagt hatte, um zumindest für einen kleinen Teil seines Lebensstils Buße zu tun. Die formelhafte Beschwörung der Ungleichheit zwischen zwei Menschen, ein altes Überbleibsel des starren osmanischen Systems von hochmütiger Herrschaft und kriecherischer Unterwürfigkeit. Selbst wenn Hürrems Selbsterniedrigung in irgendeiner Weise gerechtfertigt gewesen wäre,

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