Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
neuen Leben stellen können. Sie warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Herrje, wie blass sie aussah! Die kastanienbraunen Haare, die sie unter dem Hütchen zu einem einfachen Knoten hochgesteckt hatte, waren an den Schläfen schon wieder verschwitzt. Sie kniff sich in die Wangen, um ein wenig Farbe hineinzubringen, dann schnürte sie ihr Korsett zu, diesmal etwas weniger eng, und legte die Bluse wieder an.
*
Ihre ersten Schritte auf der hölzernen Landungsbrücke waren so unsicher, dass sie zu fallen glaubte. Der feste Boden schien zu schwanken nach all den Tagen auf See. Die Überfahrt von Java war unruhig gewesen. Zu Anfang hatte ihr die Seekrankheit sehr zu schaffen gemacht, und Isabel hatte kaum etwas essen können – aber das kam zumindest ihrer Taille zugute, die seitdem wenigstens ein bisschen geschrumpft war, wenn auch bei weitem nicht so viel, wie sie es sich gewünscht hatte.
Immer mehr Menschen bevölkerten den Pier. Nackte Kinder mit buschigen Krausköpfen liefen umher, dunkelhäutige Männer mit nicht mehr als einem Tuch um die Hüften halfen, Koffer, Taschen und andere Gepäckstücke an Land zu bringen. Auch Isabels zwei Koffer wurden von dunklen Händen ergriffen und, ehe sie etwas einwenden konnte, auf die Landungsbrücke getragen. Isabel blieb neben ihrem Gepäck stehen, umklammerte den Bügel ihrer Handtasche und sah sich hilfesuchend um. Als die beiden Männer in den hellen Tropenanzügen, die sie vorhin schon erblickt hatte, zögernd auf sie zukamen, versuchte sie zu lächeln, aber ihr Herz klopfte so laut, dass ihr ganzer Körper zu vibrieren schien.
»Fräulein Maritz?« Der große, massige Mann hatte seinen Tropenhut, den eine schwarzweiß-rote Kordel zierte, abgenommen und unter den linken Arm geklemmt; der Ärmel seiner leichten Jacke war in Höhe des Ellbogens umgeschlagen, der Unterarm fehlte. Ein Lächeln ging über sein Gesicht, als Isabel nickte. »Herzlich willkommen in Finschhafen. Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bin Berthold von Faber, der stellvertretende Leiter der Station Finschhafen.« Mit einer leichten Verbeugung ergriff er Isabels Finger zu einem angedeuteten Handkuss.
Sie senkte den Blick, Hitze flutete in ihre Wangen. So hofiert zu werden war sie nicht gewöhnt.
»Sehr erfreut, Herr von Faber«, murmelte sie. Ihre Hand lag schlaff und klebrig in seiner. Waren ihre Finger so schweißfeucht, oder waren es seine?
»Ach, Berthold, nun gib Fräulein Maritz schon frei und lass das arme Kind doch erst einmal ankommen!« Die Frau in dem vornehmen Kleid, die sie schon vom Schiff aus gesehen hatte, klopfte Herrn von Faber mit einem zusammengelegten Fächer leicht auf den rechten Arm. »Henriette Thilenius«, stellte sie sich vor und reichte Isabel die Hand. »Bertholds Schwester. Ich freue mich sehr, wieder einmal ein weibliches Wesen in diesem Junggesellenrefugium zu sehen.«
Herrn von Fabers Schwester war eine Schönheit und so zierlich, wie ihr Bruder massig war. Sie war nicht mehr jung, vielleicht Mitte oder Ende dreißig, aber sie hielt sich kerzengerade, und ihre Taille hätte ein Mann mit seinen Händen fast ganz umfangen können.
Isabel murmelte eine Erwiderung – und verstummte dann, als ihr Blick zu dem großen, dünnen Mann ging, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte und der jetzt zu ihnen trat. Seine dunklen Augen blickten sie freundlich an, und was sie von seinem Gesicht unter dem dicht wuchernden Bart erkennen konnte, war knochig, fast schon ausgezehrt. Er wirkte ganz anders als auf der Photographie, die sie nun schon so oft angesehen hatte. So viel älter. Conrad war doch erst achtundzwanzig – dieser Mann sah aus wie vierzig.
»Conrad?«, flüsterte sie fast ohne Stimme.
Das Gesicht hinter dem Bart verzog sich zu etwas, das Isabel nicht deuten konnte. War es Bedauern? Schmerz?
»Nein«, sagte der Mann dann. »Nein, das bin ich nicht. Ich bin Pater Paul Lorenz. Gott zum Gruß, Schwester Maritz.«
Sein Händedruck war warm und trocken. Isabel nickte verwirrt. Und gleichzeitig erleichtert darüber, dass diese hagere Vogelscheuche nicht ihr Conrad war. Von Bruder Lorenz hatte Conrad ihr geschrieben; er war einer der vier Missionare der Station Simbang.
Jetzt schlug er die Augen nieder. »Bruder Felby konnte … leider nicht kommen«, sagte er leise.
Ihr Herz sank. Dieser Anfang war alles andere als vielversprechend. War Conrad ihrer schon überdrüssig geworden? Hatte er sich etwa doch gegen sie entschieden?
»Er ist
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