Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
die Decke bis fast hoch zu den Schultern. Ihr Handrücken juckte von dem Mückenstich.
Schon nach kurzer Zeit hörte sie Schritte, dann trat jemand ins Zimmer und schob das Moskitonetz zur Seite: Henriette Thilenius.
»Ach, wie schön, dass Sie wieder aufgewacht sind, Fräulein Maritz«, sagte sie und ließ das Netz hinter sich sinken. »Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht, als Sie am Hafen umgekippt sind, aber Doktor Weinland meinte, das sei nur die Hitze und der Schock gewesen. Wie geht es Ihnen?«
»Ich fühle mich noch etwas schwach, aber es wird schon«, gab Isabel zurück. »Wo bin ich hier?«
»In unserem Haus, das heißt im Haus meines Bruders.«
»Dann ist das Ihr Nachthemd?«
»So ist es. Ich wollte Ihre Sachen nicht ohne Ihre Zustimmung auspacken. Ich hoffe, es passt?«
»Ja, danke. Frau Thilenius, ich möchte mich –«
»Henriette«, unterbrach Frau Thilenius sie. »Bitte, meine Liebe, sagen Sie Henriette zu mir. Ich habe hier doch so wenig weibliche Gesellschaft. Und vielleicht darf ich Sie Isabel nennen?«
»Sehr gerne.« Isabel schwirrte der Kopf. Es war alles noch zu neu und zu viel, dennoch war sie froh über Frau Thilenius’ – Henriettes – Gesellschaft.
»Ist es wahr? Ist Conrad wirklich … tot?«
Henriette schenkte ihr einen kurzen Blick, dann nickte sie, einen leicht verkniffenen Zug um den Mund, der wohl ihr Bedauern ausdrücken sollte. »Ja, meine Liebe, so leid es mir tut. Das Fieber verschont hier nur wenige, und manche trifft es besonders schwer.«
Isabel drängte die Tränen zurück. Das hier war nicht das Paradies, von dem Conrad ihr so viel erzählt hatte. Das hier war ein schreckliches Land, und sie würde zusehen, dass sie so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückkehren konnte.
»Ich bin furchtbar müde«, murmelte sie. »Am liebsten würde ich weiterschlafen.«
»Sie haben zwei Tage lang geschlafen, meine Liebe. Es wird Zeit, dass Sie aufstehen! Aber zuvor müssen Sie dringend Ihre erste Dosis Chinin zu sich nehmen. Sie wollen doch nicht gleich an Malaria erkranken? Kiso!«, rief Henriette. »Bringim kinin!«
»Yes, misis« , erklang es von irgendwo hinter dem Netz, und schon entfernten sich die schlurfenden Schritte.
Henriette warf einen Blick über die Schulter. »Die Schwarzen arbeiten recht ordentlich, aber man muss sie ständig antreiben.«
Isabel fühlte sich ein wenig unbehaglich. Sie war es nicht gewohnt, mit Dienstboten umzugehen; daheim in Zirndorf hatten sie keine Angestellten gehabt. Henriette Thilenius dagegen sprach mit einer Sicherheit, die langjährige Gewohnheit verriet.
Die füllige Papuafrau mit Namen Kiso kam zurück und brachte ein Glas Wasser und einige Tabletten, von denen Henriette zwei in das Glas gab, die daraufhin zu einem weißen Pulver zerfielen.
»Trinken Sie das. Es ist sehr bitter, aber unerlässlich, wenn Sie von der Malaria verschont bleiben wollen.«
Isabel griff pflichtbewusst nach dem Glas. Es roch fruchtig nach Zitrone – offenbar hatte Kiso dem Wasser noch etwas Limettensaft beigegeben.
»Halten Sie sich die Nase zu, und dann in einem Zug hinunter damit«, riet Henriette. »So mache ich es immer. Manchmal gebe ich auch noch etwas Gin dazu, wie die Engländer, aber das haben wir heute nicht im Haus.«
Es war nicht ganz einfach, mit der Hand an der Nase zu trinken, und als es Isabel schließlich gelang, war der bittere Geschmack dennoch so scheußlich, dass sie sich um ein Haar übergeben hätte. Hastig presste sie sich den Handrücken auf den Mund.
»Ich weiß«, sagte Henriette ungerührt. »Man möchte es sofort wieder ausspucken.« Sie nahm das leere Glas an sich. »Ruhen Sie sich noch etwas aus, meine Liebe. In zwei Stunden erwarten Berthold und ich Sie zum Abendessen.«
*
Das Chinin könne unangenehme Nebenwirkungen haben, hatte Henriette erklärt, bevor sie gegangen war. Jetzt lag Isabel auf dem Bett und versuchte, noch etwas zu schlafen. Es gelang ihr nicht. Alles drehte sich. Sie hatte ein Bein über die Bettkante gehängt, einen Fuß auf dem Boden, und versuchte gegen den Schwindel und die Übelkeit anzukämpfen. In ihren Schläfen hatte sich ein hartnäckiger Schmerz festgesetzt. War das jetzt jedes Mal so, wenn sie Chinin nehmen musste? Oder war die Dosis zu hoch gewesen?
In den Schwindel und die Übelkeit mischten sich Geräusche. Erst glaubte Isabel, es wäre Wellenrauschen oder Vogelgezwitscher, bis sie begriff, dass es eine Stimme war. Offenbar stand Henriette fast direkt vor ihrem
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