Im Herzen der Zorn (German Edition)
notierte sich etwas von Crows Songtexten. Sie waren wirklich gut. Em hatte in letzter Zeit angefangen, ihr Tagebuch überall mit hinzunehmen. Sie hatte schon früher sporadisch eines geführt, aber momentan hatte sie das Gefühl, den Stift fast überhaupt nicht mehr aus der Hand legen zu können. Nachdem sich nun alles verändert hatte – nachdem sie sich verändert hatte –, war das Schreiben die einzige Möglichkeit, den Kontakt zur Realität nicht ganz zu verlieren … oder zu dem, was davon noch übrig war. Es war jetzt Anfang März, der Entscheidungskampf mit den Furien hatte vor über einem Monat stattgefunden. Erst vor Kurzem war sie dem praktisch komatösen Zustand entronnen, in dem sie sich wochenlang befunden hatte.
Ihr blaues Tagebuch war voll mit Gedichten über Liebe und Reue. Über den Schnee. Die Kälte. Ihre beste Freundin Gabby. Und natürlich über die Furien, die danach trachteten, Übeltäter für ihre Vergehen zu bestrafen. Em war ein Opfer ihres unbändigen Zorns; die drei schönen und gleichzeitig abscheulichen Mädchen hatten dafür Rache an ihr geübt, dass Em auf Liebe und Vertrauen gepfiffen hatte, indem sie etwas mit Gabbys Freund anfing. Jetzt bekam sie die bitteren Konsequenzen zu spüren. Das Schlimmste daran war, dass der Typ, Zach, es nicht einmal wert gewesen war. Nicht annähernd.
Oder, nein. Das Allerschlimmste war das, was mit JD passiert war, ihrem spleenigen Nachbarn, ihrem Freund aus Kindertagen, dem Jungen, den sie liebte. Die Furien hatten versucht, ihn umzubringen, um ihr eine Lektion in Sachen verlorene Liebe zu erteilen. Sie hatte getan, was nötig war, um ihn zu retten. Aber dazu gehörte auch das Versprechen, weder ihm noch sonst irgendjemandem die Wahrheit darüber zu erzählen, was an jenem Abend im Shopping-Monster, dem neuen Einkaufszentrum, passiert war. Und das alles für sich zu behalten, baute eine unüberwindbare Mauer zwischen ihnen auf. Wie sollte sie JD um Verzeihung bitten, ohne zu erklären, was wirklich passiert war – und ohne ihn dann von Neuem wieder zu verlieren?
Jede Nacht machte sie kurze Einträge in ihr Tagebuch, schrieb sich die unbändige Traurigkeit und Wut von der Seele, die sie manchmal aufzufressen schienen. Das Schreiben half ein wenig, die Schlaflosigkeit zu ertragen, beseitigen konnte es sie jedoch nicht. Sie verwünschte ihre helle Haut, auf der die dunklen Ringe unter ihren Augen umso mehr zum Ausdruck kamen.
Em blinzelte ein paarmal, um sich wieder ins aktuelle Geschehen einzuklinken. Sie überlegte, ob Drea nicht vielleicht bald nach Hause wollte, schließlich war es Sonntagabend und Em musste bis zum nächsten Tag noch eine Chemiehausaufgabe fertig machen.
»Halten wir euch etwa vom Schlafen ab?« Crow kam herübergeschlendert, baute sich vor dem Sofa auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Hübsche Damen wie ihr brauchen doch sicher ihren Schönheitsschlaf.«
»Sorry, dass ich hier so müde rumhänge«, entschuldigte sich Em und setzte sich aufrechter hin. Crow, der sie anfangs ignorierte, hatte in letzter Zeit angefangen, Notiz von ihr zu nehmen – vor allem, indem er sie aufzog.
»Ah. Die Prinzessin kommt zu sich!« Seine Augen fingen an zu leuchten.
»Ich bin keine Prinzessin«, platzte es aus Em heraus. Sie hatte sich in letzter Zeit zurückhaltend gegeben, war immer darauf bedacht gewesen, dass die Leute nicht glaubten, sie hielte sich für etwas Besseres. So wie JD es tat. Seit der Nacht im Shopping-Monster, als sie ihm das Leben gerettet hatte, waren sie erst ein Mal in Kontakt getreten. Eine einzige E-Mail, von ihm an sie: Ich habe keine Lust mehr, länger deinen Chauffeur zu spielen, Em. Ich bin keine Selbstverständlichkeit, nie wieder .
Seitdem nichts mehr. Kein Blickkontakt in den Gängen, kein Zuwinken von der Einfahrt aus, wo JD offensichtlich am Mustang seines Dads herumschraubte. Wenn Em nach Hause kam, sah sie ihn meistens halb unter dem Wagen liegen, einen offenen Werkzeugkasten neben sich auf dem kalten Gehweg. Nie streckte er den Kopf heraus, um Hallo zu rufen. Er brachte es deutlich zum Ausdruck, ohne ein einziges Wort zu sagen: JD wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Ihm ihre Liebe zu gestehen, wäre zwecklos, wenn sie nicht auch etwas zu jener Nacht erklärte. Trotzdem musste sie ununterbrochen an ihn denken. Seine Abwesenheit ließ sie umso mehr spüren, wie eng ihre Beziehung gewesen war und wie recht er hatte – sie hatte ihn für selbstverständlich genommen. Eins stand
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