Im Herzen des Kometen
Vielleicht kann er uns helfen, in der Zeit, die uns noch gegeben ist, Frieden miteinander zu schließen.«
Saul hielt ihn zurück. »Bitte setzen Sie sich! Ich bin noch nicht fertig.«
Carl ließ sich zögernd in den Sessel niedersinken.
»Also, was gibt es noch?«
»Erinnern Sie sich an die Bioanalyse, der ich mich selbst unterzogen habe?«
Carl ruckte. »Bis auf Ihre Zeugungsunfähigkeit und diesen immerwährenden Schnupfen sind Sie leidlich gesund. Übrigens tut es mir leid, daß Sie steril sind, Saul. Und es freut mich für Sie, daß das einheimische Ungeziefer Sie langsamer als die meisten anderen umzubringen scheint.«
»Es bringt mich überhaupt nicht um, Carl, das ist es.«
Der andere warf ihm einen kalten Blick zu. »Seien Sie kein Esel! Ihre Tabellen zeigten eine, wenn ich mich recht erinnere, ungewöhnlich starke Zunahme…«
»Der verschiedensten Organismen, genau wie bei allen anderen. Das ist richtig. Nach den Gesetzen normaler Logik kann ich all diesen Erregern nicht mehr lange Widerstand leisten. Früher oder später wird einer mein Immunsystem lahmlegen und mich für alle anderen angreifbar machen. Dachten Sie so?«
Carl nickte. »In den letzten fünf Jahren habe ich mich viel mit biomedizinischen Fragen beschäftigt.«
»Es wird Ihnen nichts anderes übriggeblieben sein, nachdem Swatuto als Arzt ausgefallen war.«
»Genau. Und seit die Leute zu Hause aufgehört haben, nützliche Ratschläge zu geben.« Carl schnitt eine Grimasse. »Aber wie sollten sie? Es fehlt ihnen an eigener Anschauung. Nun, während meiner Wachdienste habe ich Leute gesehen, die jahrelang mit grünbewachsener Haut und leichtem Fieber lebten, ohne sich sonst beeinträchtigt zu fühlen. Bis sie buchstäblich in Stücke fielen, als der Punkt erreicht war, wo ihr Immunsystem zusammenbrach.«
Saul machte eine wegwerfende Bewegung. »Das waren die.«
»Und Sie sind verschieden?« erwiderte Carl spöttisch. »Sie sind irgendwie besonders gesegnet?«
Saul lächelte bitter. Gesegnet? O Miriam, was hat der Allmächtige deinem einfältigen Saul getan?
»Ich muß Ihnen das genauer auseinandersetzen. Lassen Sie sich etwas über Symbiose erzählen!«
»Stellen wir uns ein Virus vor, ein einfaches Bündel von Nukleinsäuren in einer Eiweißhülle; einen Killer, eine zielsichere Bombe mit nur einem Auftrag: Replikation.
Angenommen, dieses Virus findet eine Möglichkeit, in einen vielzelligen Organismus einzudringen, vielleicht in einen Menschen… sei es durch die Blutbahn oder die Schleimhäute. An diesem Punkt hat seine Arbeit gerade erst begonnen, denn nun sucht das Virus seine eigentliche Beute, nicht den Menschen als solchen, sondern vielmehr eine seiner Trillionen Zellen.
Suchen mag ein irreführender Ausdruck sein, denn ein Virus ist nur eine Pseudolebensform. Es folgt nicht aus eigenem Antrieb Vibrationen oder chemischen Spurenelementen, wie es Bakterien und andere Einzeller tun. Ein Virus läßt sich nur treiben, in Wasser oder Blut oder Körperflüssigkeit oder Schleim bis es die Oberfläche einer unglücklichen Zelle trifft.
Nehmen wir an, ein solches Virus aus dem Grenzbereich zwischen unbelebter und belebter Materie hat Glück und ist den Abwehrmechanismen des Opfers entgangen. Den Antikörpern ist es nicht gelungen, sich an ihm festzumachen und ihn fortzutragen. Es ist von den Eingreifkräften des Immunsystems nicht eingeschlossen und zerstört worden. Das glückliche Virus überlebt und trifft in der genau richtigen Art und Weise auf eine geeignete Zelle, an deren Wand es haften bleibt.
Es klebt an der Zellwand, eine einfache Kapsel aus Eiweißstoffen, bereit, ihren Inhalt in die hilflose Beutezelle zu injizieren. Einmal drinnen, übernimmt die virale RNS die gesamte, komplexe chemische Maschinerie der Zelle und zwingt sie, Hunderte, Tausende von Duplikaten des Originalvirus zu erzeugen, bis sie wie ein überdehnter Ballon platzt. Die neue virale Horde ergießt sich in den Körper und hinterläßt nur die zerstörte Zelle.
Da ist das Virus, wie es an der äußeren Zellwand haftet, bereit, sein tyrannisches Programm in die hingestreckte Beute zu injizieren…
Hingestreckt, ja. Aber hilflos?
Lange wurde unter Ärzten, Biochemikern und Philosophen um diesen Punkt gestritten. Eine kleine Minderheit stellte immer wieder dieselbe Frage:
›Warum läßt die Zelle diese Katastrophe geschehen?‹
Biologische Häretiker wiesen darauf hin, wie schwierig es sei, die kompliziert gebauten Barrieren einer Zellwand zu
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