Im Herzen des Kometen
Muttersprache bestimmt wurde. Und allenthalben war die subtile aber deutliche Trennung zwischen der Mehrheit der Orthos und den stattlichen jungen Percellen zu beobachten.
Selbstverständlich gab es auch Vermischungen, insbesondere unter den Berufsastronauten. So bemerkte Saul, wie Carl Osborn sich zur Seite beugte und Lani Nguyen, die keine Percelle war, etwas zuflüsterte. Sie lachte hell auf, dann schlug sie errötend die Hand vor den Mund. Darauf blickte sie mit leuchtenden Augen zu Carl auf, aber der hatte sich wieder abgewandt und lauschte den Worten seines Kapitäns.
»Warum wir hierhergekommen sind?« fragte Cruz, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Nun, da er sie angewärmt hatte, nahm sein Tonfall kaum merklich eine ernstere Färbung an. »Es werden verschiedene Gründe genannt. Philosophen sprechen von reiner wissenschaftlicher Forschung, von der bedeutsamen Frage nach dem Ursprung des Sonnensystems, die ihre Antwort finden könnte, wenn wir die ursprünglichste Materie im Weltraum analysieren.
Andere glauben einfach, daß wir auf dem Halleyschen Kometen sind, weil er da ist… oder vielmehr, hier.« Er lächelte. »Und warum sollte nicht anerkannt werden, daß die Faszination des Unternehmens an sich ein Grund zur Teilnahme daran ist? Dieser fliegende Eisberg ist seit Jahrtausenden über den Erdhimmel gezogen und hat so viele unserer Vorfahren bezaubert, hat zu allerlei Deutungen und Legenden Anlaß gegeben und nicht wenige unserer Ahnen in Angst und Schrecken versetzt.«
Sauls Blick fiel auf die Gruppe der Hawaiianer, acht Männer und Frauen von insgesamt dreißig, die ihr zukunftshungriges Land zur Expedition beigesteuert hatte. Sie trugen bunte Hemden mit Blumenmustern über den einteiligen Arbeitsanzügen. Gleichmäßig aufgeteilt zwischen Percellen und Orthos, war die Gruppe eine farbenfrohe Mischung von Typen und Farben. Als hätte sie seinen Blick gefühlt, wandte Virginia Kaninamanu Herbert den Kopf und sah zu ihm herüber. Sie machte ihn aus und lächelte strahlend. Saul zwinkerte zurück.
»… Suche nach neuen chemischen Verbindungen oder vielleicht zur lebensspendenden Erneuerung unseres Nachbarplaneten Mars, der von der Natur weniger freigebig ausgestattet wurde als unsere geliebte Erde.
Vielleicht haben manche von Ihnen sich wegen der versprochenen Lohnfortzahlung freiwillig gemeldet – für fünfundsiebzig Jahre Schlaf am Arbeitsplatz.«
Diesmal gab es Hochrufe und beifällige Pfiffe.
Cruz breitete die Hände aus.
»Aber es gibt zwei besondere Gründe, die uns hierher geführt haben, auf einer Mission, welche die meisten von uns für immer von allen Angehörigen und Bekannten trennen wird.
Zunächst, das sage ich Ihnen ganz offen, wird diese Mission mit ihren vielen Mitgliedern von genetisch veränderter Herkunft zu Hause als eine Probe der Fähigkeit des Menschen gesehen, sich über Vorurteile und Aberglauben zu erheben. Seit hundert Jahren haben Menschen guten Willens sich auf allen Ebenen bemüht, unserer Spezies den am tiefsten sitzenden Gruppeninstinkt auszutreiben – die Furcht vor dem Fremden, dem, der anders ist, die seit undenklichen Zeiten so viel Haß und Schrecken erzeugt hat…«
Seit undenklichen Zeiten… Saul schloß die Augen und sah wieder die Rauchwolken über Jerusalem, als die Salawiten und Leviten die Universität auf dem Herzlberg in Brand gesteckt hatten, unter den Augen der untätigen ›Friedenstruppen‹.
»… werden einen bedeutenden Erfolg erzielen, wenn wir den Beweis erbringen können, daß sogenannte Orthos und sogenannte Percelle, die auf einer langen und gefährlichen Mission zusammenleben und -arbeiten, sich als Mitmenschen aufeinander verlassen können und in gemeinsamer Arbeit neue Erkenntnisse und Entdeckungen in die Heimat zurückbringen können, von denen die ganze Menschheit Nutzen ziehen wird.
Das gleiche gilt für die zahlreichen nationalen und ethnischen Gruppen, die hier vertreten sind. Wir sind Abgesandte des einundzwanzigsten Jahrhunderts in die Zukunft. In den kommenden siebzig und mehr Jahren werden die Menschen daheim wissen, daß wir hier oben sind und zum Wohle der Menschheit zusammenarbeiten.«
Cruz ließ die Worte in das kollektive Bewußtsein eindringen. Saul bemerkte, daß viele der Anwesenden wie in plötzlichem Unbehagen auf ihre Füße blickten, als fühlten sie sich dieses Vertrauens nicht ganz würdig.
»Natürlich gibt es auch die angenehme Seite«, sagte Cruz lächelnd und rieb sich die Hände. »Wir sind hier
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