Im Herzen des Kometen
er es getan hätte. Er hatte Cruz sogar gebeten, auf diesen Rummel zu verzichten.
»… also will ich nun den Mann zu mir aufs Podium rufen, der diese epochale Entdeckung gemacht hat und auf dessen Namen man überall, wo Menschen sind, Hochrufe und Trinksprüche ausbringen wird, ehe die Woche um ist. Kommen Sie hier herauf, Saul Lintz, und erzählen Sie uns, was Sie gefunden haben!«
O Gott!
Zu vereinzeltem Applaus stieß sich Saul von der Lattenkiste ab. Nach dem ersten Stolpern trieb er sekundenlang in geringer Höhe über dem Boden dahin und mußte es ertragen, daß andere, die in annähernder Schwerelosigkeit geübter waren als er, ihn von Hand zu Hand weiterreichten.
Unterwegs sah er, daß der Applaus hauptsächlich von bestimmten Gruppen kam – Matsudo und Malenkow, die ihm bei den Analysen geholfen hatten, von anderen Mitgliedern der medizinisch-biologischen Abteilungen, von einigen Percellen, von einzelnen Hawaiianern…
Andere aber, vornehmlich unter den Kontingenten der Afrikaner, Araber, Asiaten und Lateinamerikaner, ließen die Hände sinken und blickten teilnahmslos, wenn nicht gar enttäuscht. Wie er selbst, konnten auch sie nicht vergessen.
Jemand setzte beide Hände an seinen verlängerten Rücken und stieß kräftig schräg aufwärts. Er segelte ohne die geringste Neigung, sich um die eigene Achse zu drehen, in einem sanften Bogen auf das Podium und landete unmittelbar neben Dr. Bethany Oakes. Gut gezielt, dachte er, als die matronenhafte Frau ihn festhielt und zum Publikum umdrehte.
»Denken Sie sich nichts dabei, Saul«, sagte Cruz mit halblauter Stimme. »Sie werden sich schon noch daran gewöhnen. Ihr Problem ist, daß Sie zuviel Zeit in dem verdammten Gravitationsrad verbracht haben.«
Saul zuckte die Achseln. »Manche von uns sind zu alt, um sich noch zu ändern, Kapitän.«
Cruz lachte und übergab ihm mit einer einladenden Geste den Platz des Redners. Saul schob vorsichtig einen Fuß vor und zog den anderen nach. Dann blickte er über die Versammlung hin.
»Ah, sicherlich werden Sie sich alle erinnern…«
»Lauter, Saul!« rief eine stark akzentbehaftete Stimme aus dem Hintergrund des Saales. »Sie brauchen nicht zu flüstern, um uns zu beweisen, daß Sie kein Schreihals sind!«
Köpfe wandten sich erschrocken um, einige Zuhörer lachten. Saul hatte Malenkows Stimme erkannt und sah ihn vom rückwärtigen Teil der Kaverne winken. Der Mann hatte das Taktgefühl eines Unwetters, aber Saul lächelte.
»Verzeihung, ich werde versuchen, lauter zu sprechen.
Ich war im Begriff zu sagen, daß Sie alle sich der unglaublichen Menge organischer Verbindungen erinnern werden, welche die Expedition zum Kometen Encke vorfand, während sie die für diese gegenwärtige Mission erforderlichen Techniken erprobte. Viele dieser Verbindungen waren bis dahin völlig unbekannt und führten zu revolutionären Neuerungen im Bereich der Industriechemie.
Tatsächlich ist es eines unserer Ziele hier, festzustellen, ob die Natur womöglich weitere wertvolle Polymere und Agglutinaten für uns zusammengekocht hat, die vielleicht ebenso nützlich sein werden wie Enkon und andere es inzwischen geworden sind.«
Joao Quiverian, der ganz vorn zu Füßen des Podiums stand, runzelte die Stirn. Er hatte jene Verbindungen auf der Expedition zum Kometen Encke entdeckt, also kam in gewisser Weise ihm das Verdienst an dieser zusätzlichen Motivation zur Erforschung und ›Ausbeutung‹ von Kometen zu.
»Aber eine der aufregendsten Entdeckungen auf Encke war, daß der Kern dieses alten, nahezu ausgegasten und im Zerfall begriffenen Kometen eine Vielzahl von Chemikalien enthielt, die man am besten ›präbiotisch‹ nennen sollte – Ansammlungen von Purinen, Pyrimidinen, Phosphaten und Aminosäuren, die in ihrer Mischung mit jener ›Ursuppe‹, welche nach dem Kenntnisstand der modernen Biologie zur Entstehung des Lebens auf der Erde führte, nahezu identisch waren. Als wir diese Reise antraten, hofften wir durch das Studium eines größeren und jüngeren Kometen Aufschluß darüber zu erhalten, wie die Verhältnisse auf unserer Heimatwelt vor vier Milliarden Jahren waren, als alles anfing.«
Saul räusperte sich und hoffte, das Kratzen in seiner Kehle sei allgemeiner Heiserkeit und der Aufregung zuzuschreiben. Zehn oder fünfzehn Reihen entfernt, unter den farbenfrohen Hawaiianern, sah er Virginia Herberts lächelndes Gesicht. Die Bewunderung in ihren Augen war angenehm, wenn auch ein wenig verwirrend.
Langsam,
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