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Im hohen Gras

Im hohen Gras

Titel: Im hohen Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S King
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und brannte ihm in den Augen.
    Dreißig. Er war dreißig Sekunden lang auf derselben Stelle stehen geblieben. Wahrscheinlich hätte er lieber eine ganze Minute warten sollen, aber da er das eh nicht schaffen würde, sprang er hoch und blickte wieder in Richtung Kirche.
    Auch wenn er sich das nicht eingestehen wollte, ahnte er bereits, was er sehen würde. Eine gut gelaunte Stimme in seinem Kopf kommentierte fortwährend das Geschehen: Alles wird sich weiterbewegt haben, Cal, alte Socke. Das Gras fließt, und du fließt auch. Du wirst immer mehr eins mit der Natur, Bro.
    Nachdem seine müden Beine ihn ein weiteres Mal nach oben befördert hatten, sah er, dass sich der Kirchturm jetzt zu seiner Linken befand. Nicht viel, nur ein wenig. Aber er selbst war so weit nach rechts abgetrieben, dass er jetzt nicht mehr die Vorderseite des rautenförmigen Schildes sah, sondern die Rückseite aus silberfarbenem Aluminium. Und obwohl er sich dessen nicht sicher war, hatte er den Eindruck, dass er ein Stück weiter davon entfernt war als zuvor. Als wäre er ein paar Schritte zurückgewichen, während er bis dreißig gezählt hatte.
    Irgendwo bellte wieder der Hund: wuff, wuff. Irgendwo lief ein Radio. Was für ein Lied es war, konnte er nicht erkennen, weil er nur den Bass wummern hörte. Die Insekten summten ihr einfältiges, monotones Lied.
    »Ich fass es nicht«, sagte Cal. Er war nie ein großer Redner gewesen – als Teenager hatte er den buddhistischen Skateboarder gemimt und war stolz darauf gewesen, wie lange er sich in gleichmütigem Schweigen üben konnte. Aber jetzt redete er, fast ohne sich dessen bewusst zu sein. »Heilige Scheiße, das ist … das ist doch völlig krank!«
    Er setzte einen Fuß vor den anderen. Lief in Richtung Straße – auch das tat er, fast ohne sich dessen bewusst zu sein.
    »Cal?«, schrie Becky.
    »Das ist doch krank«, murmelte er schwer atmend und schob das Gras beiseite.
    Er blieb mit dem Fuß an irgendetwas hängen und klatschte mit den Knien voran in das morastige Wasser. Das Wasser war heiß – nicht lauwarm, sondern richtig heiß, wie Badewasser – und schwappte ihm bis über den Schritt, sodass er sofort das Gefühl hatte, in die Hose gemacht zu haben.
    Lange würde er das nicht mehr durchstehen. Er sprang auf und rannte los. Das Gras peitschte ihm ins Gesicht. Es war hart und scharfkantig, und als eines der grünen Schwerter ihn unterhalb des linken Auges erwischte, spürte er einen heftigen Stich. Der Schmerz versetzte ihm einen solchen Schrecken, dass er jetzt schneller rannte, so schnell, wie er nur konnte.
    »Helfen Sie mir!«, schrie der Junge. Das Helfen ertönte links von Cal, das Sie mir rechts von ihm. Live aus Kansas in Dolby-Stereo.
    »Das ist doch krank!«, schrie Cal. »Das ist krank, das ist krank. Scheiße, das ist krank! « Die Wörter gingen nahtlos ineinander über, dasistkrankdasistkrank, aber so blödsinnig und hirnverbrannt das auch war, er konnte einfach nicht damit aufhören.
    Er stürzte wieder, und dieses Mal voll auf die Schnauze. Inzwischen waren seine Kleider von oben bis unten mit Erdreich bespritzt, das so fett, warm und dunkel war, dass es sich wie Fäkalien anfühlte und auch ein bisschen so roch.
    Cal rappelte sich auf, rannte fünf Schritte weiter, spürte, wie sich das Gras um seine Beine wickelte – als würde er die Füße in ein Nest aus Stacheldraht setzen –, und stürzte doch glatt ein drittes Mal. In seinem Kopf summte es wie ein Schwarm Schmeißfliegen.
    »Cal!«, schrie Becky aus Leibeskräften. »Cal, bleib stehen! Stopp! «
    Ja, klar, stopp. Wenn nicht, wirst du mit dem Kleinen im Chor um Hilfe rufen. Ein beschissenes Duett.
    Er schnappte nach Luft. Sein Herz raste. Er wartete darauf, dass sich das Summen in seinem Kopf legte, bis ihm bewusst wurde, dass es gar nicht im Kopf war. Die Fliegen waren echt. Direkt vor ihm sah er sie durchs Gras schießen und etwas umschwärmen, was sich hinter einem gelbgrünen Vorhang befand.
    Er stieß die Hände ins Gras und schob es beiseite.
    Vor ihm lag ein Hund im Morast – offenbar war es einmal ein Golden Retriever gewesen. Unter einer Decke aus Schmeißfliegen schimmerte das Fell braunrot hervor. Die aufgedunsene Zunge hing ihm aus dem Maul, und die Augen drohten ihm, trüben Murmeln gleich, aus dem Kopf zu fallen. Die rostige Marke am Halsband funkelte im Pelz. Cal betrachtete die Zunge genauer. Sie war mit einem grünlich weißen Belag bedeckt. Er wollte gar nicht wissen, warum. Das

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