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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orwell George
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ein, mein erstes seit drei Wochen. Dann verschwand er in Richtung Hammersmith. Ich bin überzeugt, daß er bis zur ersten Obsternte im nächsten Jahr auf der Walze sein wird.
    Beim Nachrechnen unseres Pflückanteils stellten Ginger und ich fest, daß jeder bei einer Arbeit von achtzehn Tagen 26s. verdient hatte. 8s. hatten wir als Vorschuß genommen und 6s. mit dem Verkauf von gestohlenen Äpfeln erzielt. Nach Abzug der Fahrtspesen hatte jeder von uns bei der Ankunft in London etwa 16s. in der Tasche. Wir hatten die ganze Zeit in Kent nur leben und noch mit einem kleinen Überschuß zurückkommen können, weil wir uns in jeder Beziehung mit dem Allernotwendigsten begnügt hatten.
    19. September bis 8. Oktober
    Ginger und ich suchten ein Quartier in der Tooley Street auf, das Lew Levy gehört, der auch eins in der Westminster Bridge Road hat. Es kostet nur 7p. die Nacht und ist wahrscheinlich das beste Sevenpenny-Quartier in London. Es sind zwar Wanzen in den Betten, aber nur wenige, und die Küchen, wenn auch dunkel und schmutzig, sind mit ihren vielen Kochstellen und dem heißen Wasser zufriedenstellend. Ein recht verkommenes Pack schläft da – in der Mehrzahl Iren, ungelernte Arbeiter, außerdem noch arbeitslos, zum Teil sehr sonderbare Typen. Ein Achtundsechzigjähriger arbeitete auf dem Billingsgate Market, wo er Kisten mit Fisch karrte (von denen jede hundert Pfund wog). Er interessierte sich für Politik und erzählte mir, daß er beim »Blutigen Sonntag 1888« dabei gewesen sei, am Aufstand teilgenommen habe und noch am gleichen Tag als Hilfs-Polizist vereidigt worden sei. Ein anderer alter Mann, ein Blumenhändler, war verrückt. Die meiste Zeit benahm er sich ganz normal. Wenn er jedoch seine Anfälle bekam, rannte er in der Küche hin und her und stieß gräßliche tierische Schreie aus, wobei sein Gesicht sich wie im Todeskampf verzerrte. Sonderbar war, daß er seine Anfälle immer nur bei feuchtem Wetter bekam. Ein anderer war Dieb. Er stahl hauptsächlich von Ladentischen und aus parkenden Autos, besonders von Handelsvertretern, und verkaufte seine Beute an einen Juden in Lambeth Cut. Abends machte er sich fein, um nach Westend zu gehen. Nach seinen Erzählungen konnte er wöchentlich mit zwei Pfund im Durchschnitt rechnen, wozu von Zeit zu Zeit noch ein größerer Fischzug kam. Um Weihnachten raubte er fast immer die Ladenkasse irgendeines Restaurants aus, was ihm zwischen vierzig und fünfzig Pfund einbrachte. Er betrieb seine Diebstähle schon jahrelang und war nur einmal gefaßt worden und ins Gefängnis gewandert. Wie immer bei Dieben, blieb auch ihm von seiner Arbeit nichts übrig. Hatte er einmal eine größere Summe erbeutet, verjubelte er sie sofort. Seine Fratze war eine der häßlichsten, die mir je begegnet ist, wie die einer Hyäne. Dabei war er ganz sympathisch und anständig, wenn es darum ging, von seinem Essen abzugeben und Schulden zu bezahlen. Mehrmals gingen Ginger und ich frühmorgens auf Arbeit und halfen den Karrenschiebern in Billingsgate. Etwa um fünf Uhr früh stellt man sich an der Ecke einer der Straßen auf, die von Billingsgate aufwärts nach Eastcheap führen. Wenn einer der Karrenschieber seine Last nicht alleine hochschieben kann, ruft er »Hang hoch!«, und dann springt man hin (natürlich ist die Konkurrenz dabei immer groß) und hilft von hinten den Karren schieben. Für einmal »den Hang hoch« werden 2p. bezahlt. Es handelt sich dabei jedesmal um eine Last von etwa vierhundert Pfund, und das spürt man in Armen und Beinen, aber man bekommt nicht so oft zu tun, daß es einen erschöpft. Wenn ich zum Beispiel von fünf Uhr früh bis fast zwölf Uhr da gestanden hatte, habe ich nie mehr als anderthalb Shilling verdient. Wenn man großes Glück hat, nimmt ein Karrenschieber einen als ständige Hilfskraft, und dann kommt man am Vormittag auf etwa 4 ½s. Die Karrenschieber selber dürften auf etwa vier oder fünf Pfund in der Woche kommen.
    Zu Billingsgate ist noch Verschiedenes zu sagen. Zunächst ist ein Großteil der Arbeit, die dort aufgewendet wird, vollkommen unnötig, weil sie auf dem absoluten Fehlen eines zentralisierten Transportsystems beruht. Bei den jetzigen Verhältnissen mit Lastträgern, Karrenschiebern, Helfern etc. kostet es gegenwärtig etwa ein Pfund, um tausend Kilo Fisch von Billingsgate zu einem der Londoner Bahnhöfe zu transportieren. Wenn man das vernünftig organisieren würde, zum Beispiel mit Lastkraftwagen, würde es vielleicht ein paar

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