Im Innern des Wals
glitzernder Strom von Kohle, der unaufhörlich auf dem Band abwärts fließt. In großen Gruben befördert das Band jede Minute mehrere Tonnen Kohle; es trägt sie zu einem Platz in dem Hauptstollen, wo es sie in eiserne Behälter abwirft, von denen jeder eine halbe Tonne faßt. Diese werden zum Aufzug geschleppt und dann zur Erdoberfläche geschafft.
Man kann den »Schauflern« unmöglich zusehen, ohne sie ein wenig um ihre Zähigkeit zu beneiden. Sie verrichten eine fürchterliche, ja nach gewöhnlichen Maßstäben fast übermenschliche Arbeit. Sie bewegen nicht nur ungeheure Mengen von Kohle, sie müssen das auch noch in einer Stellung tun, die die Arbeit verdoppelt oder verdreifacht. Die ganze Zeit knien sie – sie könnten auch kaum aufstehen, ohne gegen die Decke zu stoßen. Man kann sich selbst durch einen Versuch leicht davon überzeugen, was für eine grauenvolle Anstrengung das bedeutet. Schaufeln ist verhältnismäßig leicht, wenn man aufrecht steht, weil man Knie und Waden zu Hilfe nehmen kann. In kniender Stellung liegt die ganze Last bei den Armen und den Bauchmuskeln. Dazu kommen die äußeren Umstände, die die Arbeit auch nicht gerade erleichtern. Da ist die Hitze, verschieden groß, aber in einigen Gruben geradezu erstickend, dann der Kohlenstaub, der einem in Kehle und Nase dringt und sich um die Augenlider festsetzt, und das unaufhörliche Gerassel des Fließbandes, das sich in dem engen Raum fast wie das Geknatter eines Maschinengewehrs anhört. Aber die Schaufler sehen aus, als ob sie aus Eisen wären, wie handgeschmiedete Eisenfiguren, mit dem gleichmäßig glatten Überzug von Kohlenstaub am ganzen Leib. Erst wenn man Bergleute unten in der Grube fast nackt hat arbeiten sehen, entdeckt man, was für prachtvolle Männer sie sind. Die meisten sind klein (körperliche Länge wäre von Nachteil), aber alle haben einen wunderbaren Körper, breite Schultern, schmale, biegsame Hüften und ein kleines ausgebildetes Hinterteil, kräftige Waden, die rund und fest sind. Nirgends auch nur eine Unze Fleisch zuviel. In den Gruben, die heißer sind, tragen sie nur eine kurze leichte Hose, Holzschuhe und Knieschützer, und in den heißesten Gruben überhaupt nichts außer Schuhen und Knieschützern. Wenn man sie sieht, kann man nur schwer sagen, ob sie jung oder alt sind. Jedes Alter mag bei ihnen vertreten sein, bis zu sechzig oder sogar fünfundsechzig, aber wenn sie nackt und schwarz sind, sehen sie alle gleich aus. Niemand könnte ihre Arbeit tun, der nicht den Körper eines jungen Mannes besitzt und dazu noch die Figur eines Gardisten. Nur ein paar Pfund überflüssiges Fleisch mehr auf den Hüften, und das fortgesetzte Vor- und Zurückbeugen würde zur Unmöglichkeit. Niemand, der es je gesehen hat, wird das Bild vergessen – die Reihe der knienden, gebückten Gestalten, am ganzen Leibe rußig, die mit staunenswerter Kraft und Schnelligkeit ihre großen Schaufeln in die Kohlenberge stoßen. Ihre Arbeitszeit beträgt siebeneinhalb Stunden, theoretisch ohne Unterbrechung, denn dafür wäre keine Zeit übrig. In der Praxis stehlen sie sich natürlich zwischendurch immer eine kleine Viertelstunde, um zu essen, was sie sich mitgebracht haben, gewöhnlich ein großes Stück Brot mit Schmalz und dazu eine Flasche kalten Tee. Als ich den Schauflern zum erstenmal zusah, geriet meine Hand zufällig an etwas ekelhaft Schleimiges, mitten in der Kohle. Es war ein Stück ausgespuckten Kautabaks, denn fast alle Grubenarbeiter kauen Tabak, von dem es heißt, daß er den Durst löscht.
Wahrscheinlich muß man ein Kohlenbergwerk mehrere Male besuchen, um einen wirklichen Einblick in die zahllosen Arbeitsvorgänge zu bekommen, die sich um einen herum abspielen. Der Hauptgrund liegt darin, daß allein die Anstrengung, von einem Ort zum andern zu gelangen, so groß ist, daß man kaum etwas in sich aufnimmt. In gewissem Sinne ist das Ganze enttäuschend oder bestimmt anders, als man erwartet hat. Man steigt in den Aufzug, einen stählernen Kasten von der Größe einer Telefonzelle, nur zwei- oder dreimal länger. Er faßt zehn Mann, ist aber immer vollgepackt wie eine Sardinenbüchse, und ein langer Mensch kann nicht aufrecht darin stehen. Die Stahltür schließt sich hinter einem, und jemand, der oben mit dem Aufzugskabel die Winde bedient, läßt einen ins Leere fallen. Man bekommt augenblicklich das bekannte flaue Gefühl in der Magengegend und heftiges Ohrensausen, doch von der Bewegung der Kabine in voller Fahrt
Weitere Kostenlose Bücher