Im Innern des Wals
mit all diesen Leuten zusammengelebt hatte, wurde mir mein Cockney-Akzent lästig, und sofort bemerkten sie, daß ich anders sprach als sie. Wie gewöhnlich wurden sie daraufhin noch freundlicher, denn in diesen Schichten gilt es als ein besonders trauriges Schicksal, »heruntergekommen zu sein«.
Von zweihundert Pflückern in der Farm von Biest waren fünfzig oder sechzig Zigeuner. Sie wirkten seltsamerweise wie orientalische Bauern, dieselben schweren Gesichter, gleichzeitig stumpf und schlau, von blitzschneller Auffassung in allem, was sie selbst betrifft, sonst von erstaunlicher Unwissenheit. Die meisten können nicht ein Wort lesen, und kein Kind scheint je eine Schule besucht zu haben. Ein etwa vierzigjähriger Zigeuner stellte mir Fragen wie: »Wie weit liegt Paris von Frankreich?« oder »Wieviel Tage braucht ein Wohnwagen nach Paris?« etc. etc. Ein zwanzigjähriger Bursche gab mir etwa ein dutzendmal am Tag folgendes Rätsel auf: »Soll ich dir mal was sagen, was du nicht kannst?« – »Was denn?« – »Eine Mücke mit einem Telegraphenmast am Arsch kitzeln.« (Darauf folgte unweigerlich ein allgemeines brüllendes Gelächter.) Zigeuner sind offenbar ziemlich wohlhabend, sie besitzen Wagen, Pferde etc., sind das ganze Jahr unterwegs, verdingen sich als Landarbeiter und sparen ihr Geld. Sie sagten immer, daß unsere Art zu leben (in Häusern wohnen etc.) ihnen widerwärtig erschiene und wie schlau sie es angestellt hätten, sich im Krieg um den Militärdienst zu drücken. Wenn man mit ihnen sprach, hatte man das Gefühl, mit Menschen aus einem andern Jahrhundert zu reden. Einen Zigeuner hörte ich sagen, »wenn ich wüßte, wo der und der steckt, würde ich hinreiten, bis mein Pferd keine Hufe mehr hätte, um ihn zu fangen« – ein Bild, das nicht ins zwanzigste Jahrhundert paßt. Einmal unterhielten sich ein paar Zigeuner über einen berüchtigten Pferdedieb namens George Bigland, wobei einer zu seiner Verteidigung sagte: »Ich halte George nicht für so schlecht, wie ihr ihn macht. Ich weiß, daß er reichen ›Gorgias‹ Pferde gestohlen hat, aber er würde nie soweit gehen, uns eins zu stehlen.«
Die Zigeuner nennen uns »Gorgias« und sich selber »Romanis«, aber ihr Spitzname ist »Didecais« (ich weiß nicht genau, wie es geschrieben wird). Sie können alle Romany und benutzen gelegentlich das eine oder andere Wort, wenn sie von Dritten nicht verstanden werden wollen. Noch etwas Überraschendes stellte ich in bezug auf die Zigeuner fest – ich weiß nicht, ob es überall so ist –, daß die Mitglieder ein und derselben Familie einander völlig unähnlich sind. Es ist fast wie eine Bestätigung der Geschichten, daß Zigeuner Kinder stehlen, wahrscheinlicher ist jedoch die Unbestimmtheit der Vaterschaft …
Einer in unserem Schuppen war der alte taube Landstreicher, den wir vor dem Asyl von West Mailing getroffen hatten – allgemein »Deafy« (»Taubie«) genannt. Wenn man sich mit ihm unterhielt, war er wie eine »Mr. F’s Tante«, und er sah aus wie eine Zeichnung von George Belcher. Dabei war er intelligent und hätte sich bestimmt nicht auf der Landstraße herumgetrieben, wenn er nicht taub gewesen wäre. Für schwere Arbeit war er nicht kräftig genug, die letzten Jahre hatte er auch nicht gearbeitet, außer gelegentlich, wie beim Hopfenpflücken. Nach seiner Schätzung hatte er sich in über vierhundert Asylen aufgehalten. Ein anderer namens Barrett und einer aus unserer Gruppe namens George waren typische Wanderarbeiter. Die ganzen letzten Jahre hatten sie regelmäßig Saisonarbeit getan, zu Anfang des Frühjahrs beim Lammen, dann beim Ernten von Erbsen und von verschiedenen Obstsorten, danach Erdbeeren, Kartoffelbuddeln, Rüben und Zuckerrüben. Sie waren selten länger als ein oder zwei Wochen arbeitslos, aber schon das genügte, um sich keine Verdienstmöglichkeit entgehen zu lassen. Beide hatten keinen Penny, als sie in der Farm von Biest ankamen, und ich habe Barrett bestimmt einen ganzen Tag arbeiten sehen, ohne auch nur einen Bissen zu essen. Alles, was bei ihrer Schufterei herausgekommen war, bestand in dem, was sie auf dem Leib trugen, daß sie auf Stroh schliefen und von Brot, Käse und Speck lebten und es sich vermutlich ein- oder zweimal im Jahr leisteten, sich gründlich zu betrinken. George war ein finsterer Bursche, der sich selber klein machte und noch stolz darauf war, wie unterernährt und überarbeitet er war, und nichts anderes kannte, als von einer Arbeit zur
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