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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orwell George
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anderen zu wandern. Seine Einstellung war: »Schöne Ideen sind nicht für Leute wie uns da.« (Er war Analphabet und schien Lesen und Schreiben für eine Art von Ausschweifung zu halten.) Mir war diese Ansicht nicht neu, in Paris war ich ihr oft genug bei Tellerwäschern begegnet. Barrett, der 63 war, schimpfte dauernd, daß die Qualität der Lebensmittel im Vergleich zu früher, als er noch Kind war, miserabel sei. »Früher haben wir nicht so Scheißbrot essen müssen, es gab anständiges Fressen, Ochsenherzen, Speckklöße, Blutwurst, Schweinsohren.« Der pappige sehnsüchtige Ton, in dem er »Schweinsohren« aussprach, verriet, wieviele Jahre er schon nichts Ordentliches mehr gegessen hatte.
    Neben den regulären Pflückern gab es noch die sogenannten »Homedwellers«, d. h. diejenigen, die im Ort wohnten und ganz unregelmäßig zur Arbeit erschienen, so mehr aus Vergnügen mithalfen. Meistens waren es Bauersfrauen, und in der Regel konnten sie und die Pflücker einander nie ausstehen. Immerhin war eine von ihnen eine sehr nette Frau, die Ginger ein Paar Schuhe und mir eine tadellose Jacke und Weste und zwei Hemden schenkte. Fast alle Ortsbewohner sahen auf uns wie auf den letzten Dreck herunter, und die Ladeninhaber behandelten uns wenig nett, obwohl die Pflücker mehrere hundert Pfund im Dorf ausgegeben haben müssen.
    Beim Hopfenpflücken verlief ein Tag so ziemlich wie der andere. Am Morgen, etwa Viertel vor sechs, kroch man aus dem Stroh, zog sich Jacke und Stiefel an (alles andere behielt man nachts an) und machte draußen Feuer (keine leichte Arbeit in diesem September, wo es immer regnete). Um halb sieben war der Tee und das getoastete Brot fertig, und wir frühstückten.
    Dann gingen wir an die Arbeit, mit Brot und Speck und einer Kanne kaltem Tee für unser Mittagsbrot. Wenn es nicht regnete, arbeiteten wir hintereinander bis etwa ein Uhr, machten Feuer zwischen den Reben, wärmten den Tee und ruhten uns eine halbe Stunde aus. Danach arbeiteten wir weiter bis halb sechs, gingen zu unserer Hütte zurück, reinigten die Hände vom Hopfensaft und tranken Tee. Um diese Zeit war es bereits dunkel, und wir sanken vor Müdigkeit um. Trotzdem sind wir an manchen Abenden noch ausgegangen, um Äpfel zu stehlen. In der Nähe war ein großer Obstgarten, den drei oder vier von uns systematisch plünderten. Sie nahmen einen Sack mit und kamen jedesmal mit etwa fünfzig Pfund Äpfeln und mehreren Pfund Nüssen zurück. Sonntags wuschen wir unsere Hemden und Socken im Fluß und verbrachten den übrigen Tag mit Schlafen. Soweit ich mich erinnere, habe ich mich die ganze Zeit, die wir dort waren, nie ganz ausgezogen, nie die Zähne geputzt, und mich nur zweimal die Woche rasiert. Bei der vielen Arbeit und der umständlichen Kocherei (wozu das fortwährende Wasserholen gehörte, der Kampf mit dem feuchten Brennholz, das Braten im Blechdeckel etc.) hatte man keinen Augenblick Zeit. Während meines ganzen Aufenthalts auf den Hopfenfeldern habe ich nur ein Buch gelesen, und das war ein Buffalo-Bill-Heft. Wenn ich unsere Ausgaben zusammenrechne, stelle ich fest, daß Ginger und ich nicht mehr als 10s. pro Woche ausgaben, kein Wunder, daß wir nie genug Tabak hatten und immer hungrig waren, trotz der Äpfel und allem, was die andern uns schenkten. Ich glaube, wir mußten die letzten Pennys zusammenkratzen, um zu sehen, ob wir noch eine halbe Unze Tabak oder für 2p. Speck kaufen konnten. Wir führten kein schlechtes Leben, aber da wir den ganzen Tag standen, nachts unbequem schliefen und meine Hände bis aufs Blut zerkratzt waren, war ich am Ende der Zeit ein Wrack. Es war beschämend für mich, zu sehen, daß die meisten Arbeiter das Ganze fast als Erholung ansahen, einige sahen darin einen Zeitvertreib, was auch erklärt, warum die Pflücker sich mit so niedrigen Löhnen zufriedengeben. Man kann die Lebensumstände der Landwirtschaftsarbeiter daran abschätzen, daß nach ihren Erfahrungen Hopfenpflücken kaum als Arbeit zählt.
    Eines Nachts klopfte ein junger Mann an unsere Tür und sagte, er sei zum Pflücken eingestellt und angewiesen worden, in unserer Hütte zu schlafen. Wir ließen ihn herein und teilten am Morgen unser Frühstück mit ihm, worauf er auf Nimmerwiedersehen verschwand. Es stellte sich heraus, daß er kein Pflücker war, sondern ein Landstreicher und einen für sie typischen Trick benutzte, um nachts nicht im Freien schlafen zu müssen. Ein andermal erschien abends eine Frau, die nach Hause

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