Im Innern des Wals
bedeutet, die Treppen hinunterzusteigen. Man muß sich in einer merkwürdigen seitlichen Stellung hinunterzuarbeiten versuchen, ohne die Knie zu biegen. Meine Bergwerksfreunde bemerkten, daß ich an allen Gliedern steif war, und lachten mich aus: »Na, wie war’s, hier unten in der Grube zu arbeiten, he?« Aber auch ein Bergmann, der längere Zeit nicht gearbeitet hat, zum Beispiel weil er krank war, empfindet die Zeit nach seiner Rückkehr in die Grube zunächst als Qual.
Es könnte so aussehen, als übertriebe ich, obwohl jemand, der in eine altmodische Grube (die meisten Gruben in England sind altmodisch) eingefahren und tatsächlich bis zur Kohle vorgedrungen ist, wahrscheinlich genau dasselbe aussagen würde. Was ich besonders hervorheben möchte, ist folgendes: Zunächst dieses entsetzliche Hinundherkriechen, das für jeden normalen Menschen an sich schon eine harte Tagesarbeit wäre. Dabei gehört es überhaupt nicht zur eigentlichen werkmännischen Arbeit, es ist nur eine Zugabe, wie für den Geschäftsmann die tägliche Fahrt mit der Untergrundbahn. Der Bergmann macht diesen Weg hin und her, und dazwischen liegen siebeneinhalb Stunden Schwerstarbeit. Ich bin nie viel länger als eine Meile zum Ort marschiert, aber sehr oft ist der Weg drei Meilen lang, das heißt, daß ich und die meisten Menschen, die keine Bergleute sind, überhaupt nie hinkommen würden. Das gehört zu den Punkten, die man immer gern übersieht. Wenn man an ein Kohlenbergwerk denkt, dann an Tiefe, Hitze, Dunkelheit, geschwärzte Gestalten, die auf Mauern von Kohle einschlagen. Woran man nicht unbedingt denkt, sind die Meilen, die man hin- und herkriechen muß. Ein weiterer Punkt ist die Frage der Zeit. Eine Schicht dauert siebeneinhalb Stunden, das klingt nicht sehr lang, aber man muß pro Tag mindestens eine Stunde für das »Marschieren« hinzurechnen, öfter noch zwei und nicht selten auch drei Stunden. Sicher ist das formal keine Arbeit, und der Bergmann wird dafür nicht bezahlt. Aber was die Anstrengung betrifft, ist das kein Unterschied. Man kann leicht sagen, daß die Kumpel sich nicht viel darum kümmern, es ist für sie nicht das, was es für uns bedeuten würde. Sie sind seit ihrer Kindheit daran gewöhnt, sie haben die erforderliche abgehärtete Muskulatur und sind imstande, sich unter Tage mit einer erstaunlichen und fast unheimlichen Behendigkeit zu bewegen. Ein Bergmann senkt den Kopf und läuft mit langen schwingenden Schritten durch Stollen, die ich nur entlang stolpern könnte. Vor Ort sieht man sie auf allen vieren. Um die Stempel schlüpfen sie herum, beinahe wie Hunde oder Katzen. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, daß sie das gern täten, ich habe viele von ihnen danach gefragt, und alle gaben zu, daß das »Marschieren« eine harte Arbeit bedeutet. Auf jeden Fall, wenn man sie unter sich über eine Grube reden hört, ist das »Marschieren« immer eins der Hauptthemen. Es heißt, daß eine Schicht zum Rückweg immer weniger Zeit als zum Hinweg braucht. Trotzdem sagen die Bergleute, daß der Abmarsch nach einem schweren Tag einen besonders hart ankommt. Es ist ein Teil ihrer Arbeit, und sie werden damit fertig, aber zweifellos ist es eine große Anstrengung. Man könnte es vielleicht damit vergleichen, daß man vor und nach der täglichen Arbeit einen kleineren Berg erklettern müßte.
Hat man zwei oder drei Kohlegruben besucht, fängt man an, etwas von den Vorgängen unter Tage zu verstehen. (Beiläufig müßte ich eigentlich sagen, daß ich über die technische Seite der Kohlenförderung nichts weiß. Ich beschreibe lediglich, was ich gesehen habe.) Die Kohle liegt in flachen Schichten zwischen ungeheuren Felsmassen. Der Förderprozeß ist also, wie wenn man aus einer italienischen Eiswaffel die Mitte herauszukratzen hätte. Früher wurde die Kohle noch mit Pickel und Brechstange losgelöst – eine mühselige Arbeit, weil sie in ihrer ursprünglichen Lage fast so hart ist wie Gestein. Heute wird diese Arbeit durch eine elektrisch betriebene Kohlensäge ausgeführt, im Prinzip eine ungeheuer starke Bandsäge, die horizontal statt vertikal arbeitet und deren Zähne ein paar Inch lang und ein halbes Inch stark sind. Sie kann sich aus eigener Kraft vor- und rückwärts bewegen, und die Bedienungsmannschaft kann den Schnittwinkel nach Bedarf ändern. Nebenbei macht die Maschine den furchtbarsten Lärm, den ich je gehört habe, sie wirbelt solche Wolken von Kohlenstaub auf, daß man nicht weiter als zwei oder drei
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