Im Innern des Wals
Charakter. Ein kommunistischer Redner ist praktisch ein russischer Propagandist, der sich als internationaler Sozialist ausgibt, eine Pose, die in normalen Zeiten keine Schwierigkeit macht, in kritischen Perioden jedoch zu Komplikationen führt, weil die UdSSR in ihrer Außenpolitik nicht weniger skrupellos ist als die andern Großmächte. Bündnisse, Frontwechsel etc., die nur im Spiel der Machtpolitik einen Sinn haben, müssen in Begriffen und Ausdrücken des internationalen Sozialismus erklärt und gerechtfertigt werden. Jedesmal, wenn Stalin seine Partner wechselt, muß der »Marxismus« umgeformt werden. Das zieht sprunghafte, gewaltsame Veränderungen der »Linie«, Säuberungen, Denunziationen, eine radikale Umwandlung der Partei-Literatur etc. etc. nach sich. Jeder Kommunist muß damit rechnen, von einem Augenblick zum andern entweder seine grundsätzliche Überzeugung zu ändern oder aus der Partei auszutreten. Was am Montag noch als unantastbares Dogma galt, kann bereits am Dienstag eine unverzeihliche Abweichung sein. Das hat sich in den letzten zehn Jahren wenigstens dreimal ereignet. Daraus ergibt sich, daß in jedem westeuropäischen Land eine kommunistische Partei immer unstabil und für gewöhnlich sehr klein bleibt. Ihre ständigen Mitglieder sind in Wirklichkeit ein innerer Ring von Intellektuellen, die mit der russischen Bürokratie gemeinsame Sache machen, und einer nur wenig größeren Zahl von Angehörigen der arbeitenden Klasse, die gefühlsmäßig Sowjetrußland die Treue halten, ohne deshalb seine Politik zu verstehen. Daneben gibt es noch eine fluktuierende Mitgliedschaft, von der bei jeder Änderung der »Linie« der eine Teil kommt und der andere geht. 1930 war die englische kommunistische Partei eine winzige, kaum legale Organisation, deren Hauptbeschäftigung darin bestand, die Labour Partei mit Dreck zu bewerten. Aber 1935 hatte sich das Gesicht Europas geändert, und damit änderte sich auch die Politik des linken Flügels. Hitler war an die Macht gekommen und begann aufzurüsten. Die russischen Fünfjahrespläne hatten Erfolg gehabt, Rußland war als die militärische Großmacht wieder auf dem Plan erschienen. Als deutlich wurde, daß die drei Hauptziele des Hitlerschen Angriffs Großbritannien, Frankreich und die UdSSR waren, sahen sich diese drei Länder zu einer Art unbequemem »rapprochement« gezwungen. Das bedeutet, daß die englischen oder französischen Kommunisten notgedrungen gute Patrioten und Imperialisten werden mußten – das heißt, genau die Dinge verteidigen mußten, die sie fünfzehn Jahre lang angegriffen hatten. Das Rot der Komintern-Parolen verblaßte zu Rosa. Die »Weltrevolution« und der »Sozial-Faschismus« machten einer »Verteidigung der Demokratie« und einem »Stoppt Hitler!« Platz. Die Jahre 1935–39 bezeichneten eine Periode des Anti-Faschismus und der Volksfront, die Blütezeit des »linken« Buches. Rote Herzoginnen und »undogmatische« Geistliche zogen über die Schlachtfelder des Spanischen Krieges, und Winston Churchill war der blauäugige Knabe des Daily Worker . Seit damals hat sich allerdings einiges an der »Linie« geändert. Für mein Anliegen bleibt wichtig, daß die jüngeren englischen Schriftsteller während der »antifaschistischen« Periode zum Kommunismus neigten.
Der Hahnenkampf Demokratie gegen Faschismus übte schon an sich eine Anziehungskraft auf diese Autoren aus, auf alle Fälle war aber ihre Bekehrung um diese Zeit fällig. Offensichtlich hatte der » laissez-faire «-Kapitalismus abgewirtschaftet, und irgendwie mußte eine Art von Wiederaufbau kommen. In der Welt von 1935 konnte man nur schwer politisch gleichgültig bleiben. Woher aber kam die Neigung dieser jungen Leute zu einer so entlegenen Ideologie wie dem russischen Kommunismus? Warum fühlten sich Schriftsteller von einer Form des Sozialismus angezogen, welche geistige Ehrlichkeit unmöglich machte? Die Erklärung liegt in etwas, das bereits vor dem wirtschaftlichen Niedergang und noch vor Hitler in Erscheinung getreten war: der Arbeitslosigkeit der Mittelschicht. Arbeitslos sein heißt nicht nur keine Anstellung haben. Die meisten Menschen können irgendeine Arbeit bekommen, selbst in den schlechtesten Zeiten. Das Problem liegt darin, daß es um 1930 keine Tätigkeit gab, an die ein denkender Mensch hätte glauben können, ausgenommen vielleicht wissenschaftliche Forschung, Kunst und linke Politik. Die Entlarvung der westlichen Zivilisation hatte ihren tiefsten
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