Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orwell George
Vom Netzwerk:
Schwarzhemden. Deutschland: das sind Filme, Nacktkultur und Psychoanalyse – aber nicht Hitler, von dem bis 1931 kein Mensch etwas gehört hat. In »kultivierten« Kreisen nimmt der »l’art pour l’art«-Standpunkt die Form der Anbetung des Nichtssagenden an. Literatur besteht angeblich nur aus der Zusammenstellung von Wörtern. Ein Buch seinem Sujet nach zu beurteilen galt als unverzeihliche Sünde, und dem Sujet auch nur die geringste Beachtung zu schenken, war eine Geschmacklosigkeit. Um 1928 findet man unter den drei wirklich guten Witzen, die der Punch seit dem Weltkrieg produzierte, folgenden: Ein unausstehlicher junger Mann erklärt seiner Tante, daß er die Absicht habe, Schriftsteller zu werden. »Und worüber willst du schreiben, lieber Junge?« fragt die Tante. »Liebe Tante«, erwidert er in vernichtendem Ton, »man schreibt nicht über etwas, sondern man schreibt einfach.«
    Die besten Schriftsteller der zwanziger Jahre waren nicht dieser Auffassung. Ihr Ziel war in den meisten Fällen ziemlich deutlich zu erkennen und lag mehr auf einer moralischkulturellreligiösen Linie. In gewisser Weise ist die Tendenz aller Mitglieder dieser Gruppe konservativ. Lewis zum Beispiel verbrachte Jahre damit, überall Bolschewismus zu wittern, den er an den unmöglichsten Stellen aufspürte. In jüngerer Zeit hat er einige seiner Anschauungen geändert, vielleicht beeindruckt von Hitlers Verhalten Künstlern gegenüber, aber man kann unbesorgt sein, er wird nicht zu weit nach links geraten. Pound scheint endgültig auf den Faschismus hereingefallen zu sein, jedenfalls auf die italienische Spielart. Eliot hat sich nach keiner Seite gebunden, aber mit vorgehaltener Pistole vor die Wahl zwischen Faschismus und einer mehr demokratischen Form von Sozialismus gestellt, würde er sich vermutlich für den Faschismus entscheiden. Huxley startet mit der üblichen Verzweiflung am Leben, versucht dann aber, unter dem Einfluß von Lawrences »schwarzen Eingeweiden« etwas, was man als »Anbetung des Lebens« bezeichnet hat, und landet schließlich beim Pazifismus – eine vertretbare und in diesem Augenblick sogar ehrenvolle Haltung, die aber auf lange Sicht zu einer Ablehnung des Sozialismus führen dürfte. Weiter ist bemerkenswert, daß die meisten Schriftsteller dieser Gruppe eine Neigung zur katholischen Kirche haben, wenn auch meist in einem Sinn, den ein orthodoxer Katholik nicht akzeptieren würde.
    Die geistige Verwandtschaft zwischen Pessimismus und Reaktion liegt zweifellos offen zutage. Aber es ist vielleicht weniger deutlich, warum die führenden Schriftsteller der zwanziger Jahre vorwiegend pessimistisch dachten. Warum stößt man fortgesetzt auf die Vorliebe zur Dekadenz? Zu Totenschädeln und Kakteen, Klagen um den verlorenen Glauben, Sehnsucht nach nicht zu realisierenden Zivilisationen? War es vielleicht deshalb, weil sie alle in einer sehr komfortablen Zeit schrieben? Gerade dann floriert diese »kosmische Verzweiflung«. Leute mit leerem Magen verzweifeln nicht am Universum, ja, sie denken nicht einmal über das Universum nach. Der ganze Abschnitt zwischen 1910 und 1930 war eine Periode des Wohlstands, und selbst die Kriegsjahre waren physisch erträglich, wenn man das Glück hatte, als Nicht-Kämpfer in einem der Länder der Alliierten zu leben. Besonders die zwanziger Jahre waren das Goldene Zeitalter der intellektuellen »Rentiers«, eine Periode der Verantwortungslosigkeit, wie sie die Welt nicht erlebt hatte bisher. Der Krieg war zu Ende, die neuen totalitären Staaten noch nicht in Erscheinung getreten, irgendwelche moralischen und religiösen Tabus gab es nicht mehr, und das Geld rollte. »Desillusion« war Mode. Jeder mit festen 500 Pfund im Jahr zählte sich zur Intelligenz und begann sich im »taedium vitae« zu üben. Es war die Epoche der Zehndollarstücke und der weichen Birnen, der billigen Verzweiflung, der Hinterhof-Hamlets, der ermäßigten Rückfahrkarten zum Ende der Nacht. In einigen der zweitrangigen, charakteristischen Bücher, wie Told by an Idio (von Rose Macaulay, ersch. 1923), erreichte die Verzweiflung-am-Leben-Stimmung die Atmosphäre eines Türkischen Bades in Selbstmitleid. Und die besten Schriftsteller der Zeit kann man einer zu olympischen Haltung überführen, einer zu großen Bereitwilligkeit, angesichts der praktischen Zeitfragen, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Sie betrachten das Leben durchaus umfassend, weit mehr als alle ihre unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger,

Weitere Kostenlose Bücher