Im Innern des Wals
ist wie eine hingewischte Skizze eines Tages im Leben eines »guten Parteigenossen«. Am Morgen ein paar politische Morde, ein Zwischenspiel von zehn Minuten, um »bürgerliche« Gewissensbisse zu beschwichtigen, darauf ein hastig heruntergeschlungenes Mittagessen und dann ein arbeitsreicher Nachmittag und Abend, ausgefüllt mit Kreideinschriften an Mauern und Flugblattverteilungen. Alles enorm erbaulich. Man beachte jedoch den Ausdruck »notwendiger Mord«, das konnte nur jemand schreiben, für den Mord höchstens ein Wort ist. Ich persönlich würde nicht so leichtfertig von Mord sprechen. Ich habe nämlich die Leichen vieler ermordeter Männer gesehen – ich meine nicht, im Kampf gefallen, ich meine ermordet. Deswegen verbindet sich mit diesem Wort eine bestimmte Vorstellung: Terror, Haß, weinende Angehörige, Leichenschau, Blut, die Gerüche. Für mich bedeutet Mord etwas, das es nicht geben dürfte. Das gilt für jeden normalen Menschen. Die Hitler und Stalin halten den Mord für notwendig. Aber sie plakatieren ihre Roheit nicht und bezeichnen sie nicht als Mord, sondern als »Liquidierung«, »Eliminierung« oder dergleichen. Der Amoralismus Audenscher Prägung ist nur bei jemand möglich, der immer gerade nicht da ist, wenn abgedrückt wird. In der linken Literatur wird viel mit dem Feuer gespielt, von Leuten, die nicht einmal wissen, daß Feuer brennt.
Die Kriegshetze, zu der sich die englische Intelligenz in der Zeit 1935–39 hergegeben hat, basierte zum großen Teil auf der persönlichen Gefahrlosigkeit. Es war eine Haltung, die sich von der in Frankreich stark unterschied, wo der Militärdienst nicht leicht zu umgehen ist und sogar Literaten das Gewicht des Marschgepäcks kennen.
Gegen Ende des Buches Enemies of Promise (ersch. 1938) von Cyril Connolly findet man eine aufschlußreiche Passage. Der erste Teil des Buches ist mehr oder weniger eine kritische Untersuchung der heutigen Literatur. Connolly gehört genau zu der Schriftsteller-Generation der »Bewegung«, und deren Werte sind ohne viel Vorbehalte auch die seinen. Es ist interessant, festzustellen, daß er von den Prosa-Schriftstellern hauptsächlich diejenigen bewundert, die besonders oft Gewalttätigkeiten schildern – die Möchtegern-Härte der amerikanischen Schule, Hemingway etc. Der letzte Teil des Buches ist autobiographisch und besteht aus einem Rechenschaftsbericht von faszinierender Genauigkeit über das Leben in einer Vorschule und in Eton von 1910 bis 1920. Connolly schließt mit der Bemerkung:
»Müßte ich irgendein Fazit aus meinen Gefühlen beim Abschied von Eton ziehen, so könnte man es als eine Theorie der permanenten Pubertät bezeichnen. Es ist die Theorie, daß die Erfahrungen, die man als Junge in den großen Internaten macht, so tiefe Spuren hinterlassen, daß sie das ganze spätere Leben beherrschen und jede Entwicklung unmöglich machen.«
Wenn man den zweiten Satz dieser Passage liest, so ist die erste Reaktion, nach einem Druckfehler zu suchen. Man vermutet, daß eine Negation ausgelassen ist. Aber nein, nicht im geringsten! Er meint es wirklich so! Und mehr noch, was er sagt, entspricht perverserweise voll und ganz der Wahrheit. Das »kultivierte« Leben der Mittelklasse hat einen solchen Gipfel an Verweichlichung erreicht, daß im Vergleich dazu die Internatserziehung – fünf Jahre in einem lauwarmen Bad von Snobismus – tatsächlich rückblickend als ereignisreiche Periode angesehen werden kann. Von den Schriftstellern, die in den dreißiger Jahren zählten, hat fast keiner etwas anderes erlebt, als was Connolly in Enemies of Promise berichtet. Es ist immer wieder das gleiche Schema: Internat, Universität, ein paar Auslandsreisen, dann London. Hunger, Not, Einsamkeit, Exil, Krieg, Gefängnis, Verfolgung, körperliche Arbeit – leerer Schall. Kein Wunder, daß die große Horde, als »rechte Linke« bekannt, keine Schwierigkeiten hatte, die Kehrseite des russischen Regimes mit ihren Säuberungen, die OGPU und die Schrecken des ersten Fünfjahresplanes großzügig zu übersehen. Sie waren so glorreich unfähig, zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte.
Um 1937 war die gesamte Intelligenz geistig im Krieg. Das linke Denken war auf »Anti-Faschismus« reduziert, das heißt auf eine Negation, und eine Sturzflut von Haß-Literatur gegen Deutschland und die Politiker, die der Deutschfreundlichkeit verdächtig waren, ergoß sich aus den Spalten der Presse. Was im Spanischen Krieg auf mich den furchtbarsten
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