Im Innern des Wals
Gerichtsbeamte und dergleichen, bildeten den Schluß. Nach etwa zehn Yards geriet der Zug plötzlich ins Stocken, ohne einen Befehl oder eine Warnung. Etwas Schreckliches war geschehen. Ein Hund war, Gott weiß woher, im Hof aufgetaucht und nach ein paar Sätzen mitten unter uns. Dabei stieß er ein lautes Gebell aus, offenbar aus Freude, soviel Menschen auf einmal beisammen zu sehen. Es war ein großer, zottiger Hund, halb Airedale, halb Paria. Ein paar Augenblicke tanzte er, immer bellend, um uns herum, und dann war er, ohne daß es jemand hindern konnte, bei dem Gefangenen, sprang an ihm hoch und versuchte, ihm das Gesicht zu lecken. Wir standen wie versteinert, zu verblüfft, um auch nur den Versuch zu machen, ihn zu ergreifen.
»Wer hat dies verdammte Vieh hier hereingelassen?« fragte der Direktor erbost. »So fangt ihn doch!«
Einer der Wärter trat aus der Reihe und machte einen plumpen Versuch, aber der Hund tanzte und hüpfte aus seiner Reichweite, für ihn gehörte das alles zum Spiel. Ein junger eurasischer Wärter raffte eine Handvoll Kies auf und warf nach ihm, um ihn zu verscheuchen. Mit einem Seitensprung wich der Hund aus und kam wieder hinter uns her. Sein Bellen hallte von den Gefängnismauern wider. Der Gefangene blickte teilnahmslos vor sich hin, als sei auch dies eine Formalität, die zur Hinrichtung gehöre. Erst nach mehreren Minuten gelang es jemandem, den Hund zu fassen. Wir zogen mein Taschentuch durch sein Halsband und setzten uns wieder in Bewegung, mit dem Hund, der winselte und sich loszumachen versuchte.
Bis zum Galgen waren es noch etwa vierzig Yards. Ich hatte den nackten, braunen Rücken des Gefangenen direkt vor mir. Er ging schwerfällig mit seinen gefesselten Armen, aber dennoch stetig und mit dem federnden Schritt der Inder, die niemals die Knie durchdrücken. Bei jedem Schritt strafften und entspannten sich die Muskeln, die Haarlocke auf seinem Schädel wippte auf und nieder, seine Füße drückten sich in dem feuchten Boden ein. Einmal trat er, obwohl die beiden Wärter ihn fest gepackt hielten, geschmeidig beiseite, um nicht in eine Pfütze zu treten.
Seltsam, aber bis zu diesem Augenblick war mir nicht bewußt geworden, was es bedeutet, einen gesunden, denkenden Menschen zu töten. Als ich den Gefangenen beiseite treten sah, um der Pfütze auszuweichen, erkannte ich das Geheimnis, sah, welch ungeheuerliches Unrecht es ist, einem Leben gewaltsam ein Ende zu setzen, das in voller Blüte ist. Dieser Mann lag nicht im Sterben, er lebte, wie wir, all seine Organe arbeiteten – die Därme verdauten Nahrung, die Haut erneuerte sich, die Nägel wuchsen, das Gewebe bildete sich –, alles arbeitete weiter in feierlicher Torheit. Seine Nägel würden noch wachsen, wenn er schon auf dem Fallbrett stand, wenn er ins Leere fiel und nur noch eine Zehntel-Sekunde zu leben hatte. Seine Augen nahmen den gelben Kies und die grauen Mauern wahr, sein Hirn war noch imstande, sich zu erinnern, vorauszusehen, achtzugeben selbst auf eine Pfütze. Er und wir waren Menschen, die gemeinsam einen Weg zurücklegten, welche die gleiche Welt erblickten, hörten, fühlten, begriffen, und in zwei Minuten, mit einem plötzlichen Knack, würde einer von uns nicht mehr da sein, ein menschliches Wesen weniger, eine Welt weniger.
Der Galgen stand in einem kleinen, von hohem stachligem Gras überwucherten Hof hinter dem Hauptkomplex der Gefängnisgebäude. Er bestand aus drei Ziegelwänden, wie bei einem Schuppen, und einem Holzpodest. Zwei Pfähle und eine waagerechte eiserne Schiene, von der ein Strick herabhing, bildeten den eigentlichen Galgen. Der Henker, ein weißhaariger Gefangener in weißer Sträflingskleidung, stand bereits neben dem Apparat. Bei unserem Erscheinen grüßte er mit einer devoten Verbeugung. Auf einen Zuruf von Francis packten die beiden Wärter den Verurteilten noch fester, führten ihn, halb schiebend, halb stützend, zum Galgen und halfen ihm umständlich die Leiter hinauf. Nach ihm kletterte der Henker nach oben und legte ihm den Strick um den Hals.
Wir warteten unten in einer Entfernung von etwa fünf Yards. Die Wärter umstanden das Podest in einem unregelmäßigen Kreis. Und dann, als die Schlinge geknüpft war, begann der Gefangene laut seinen Gott anzurufen. Mit hoher, gleichförmiger Stimme wiederholte er in einem fort monoton eine Silbe: »Rem – Rem – Rem – Rem …«, nicht drängend und ängstlich wie ein Gebet oder ein Hilferuf, sondern gleichförmig und
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