Im Innern des Wals
geschaffen für ein Zeitalter wie dieses; ist es Smith? Ist es Jones? Oder du?]
Der Spanische Bürgerkrieg und andere Ereignisse in den Jahren 1936–37 bewirkten den Umschwung. Ich wußte nun, wo ich stand. Jede Zeile der wesentlichen Arbeiten, die ich seit 1936 geschrieben habe, ist direkt oder indirekt gegen den Totalitarismus und für den demokratischen Sozialismus, wie ich ihn auffasse. Ich halte es in einer Epoche wie der unsrigen für sinnlos, sich einzubilden, daß man als Schriftsteller politische Probleme umgehen kann. Jeder behandelt sie in der einen oder anderen Form. Die Frage ist nur, auf welcher Seite man steht und wie man sie anpackt. Und je klarer man sich der eigenen politischen Voreingenommenheit bewußt ist, desto größer ist die Chance, politisch zu wirken, ohne seine ästhetische und geistige Integrität zu opfern.
Während der letzten zehn Jahre habe ich mich immer am meisten darauf konzentriert, in künstlerischer Form politisch zu schreiben. Mein Ausgangspunkt ist ein Gefühl von Parteilichkeit, ein Gespür für Ungerechtigkeit. Wenn ich anfange, ein Buch zu schreiben, sage ich mir nicht: »Jetzt werde ich ein Kunstwerk schaffen.« Ich schreibe es, weil ich eine Lüge entdeckt habe, die ich aufzeigen will, irgend etwas, worauf ich die Aufmerksamkeit lenken möchte. Meine erste Sorge ist, gehört zu werden. Aber ich könnte weder ein Buch noch einen längeren Artikel für eine Zeitschrift schreiben, wenn es nicht auch ein künstlerisches Erlebnis wäre. Wer sich die Mühe macht, sich mit meinen Arbeiten zu beschäftigen, wird finden, daß sie, selbst wo es sich um reine Propaganda handelt, viel enthalten, was ein Berufspolitiker für überflüssig erklären würde. Ich wäre nicht imstande, und ich habe auch nicht die Absicht, die Weltanschauung aufzugeben, die ich seit meiner Kindheit habe. Solange ich lebe und gesund bin, wird mir gute Prosa immer wichtig sein, werde ich immer das Antlitz der Erde lieben und meine Freude an handfesten Themen und Schnipseln von unnützer Information haben. Es hätte keinen Zweck zu versuchen, diese Seite meines Ichs zu unterdrücken. Es handelt sich darum, meine ureigensten persönlichen Neigungen und Abneigungen mit einer im wesentlichen öffentlichen, auf allgemeine, nicht individuelle Fragen gerichteten Arbeit zu verschmelzen, wie sie unsere Epoche jedem von uns aufzwingt.
Das ist nicht einfach, es wirft Probleme des inneren Aufbaus und der Sprache auf, und auf neue Weise das Problem der Wahrhaftigkeit. Ich möchte als Beispiel für eine der größeren Schwierigkeiten dieser Art mein Buch über den Spanischen Bürgerkrieg, Mein Katalonien , heranziehen, ein eindeutig politisches Buch, das ich jedoch mit einer gewissen Distanz und Rücksicht auf die literarische Form verfaßt habe. Ich habe schwer darum gekämpft, die ganze Wahrheit zu sagen, ohne meinen künstlerischen Instinkten Gewalt anzutun. Unter anderem enthält es jedoch ein langes Kapitel, das nur aus Zeitungsmeldungen und dergleichen besteht, in dem ich für die Trotzkisten eintrete, die man beschuldigte, mit Franco unter einer Decke zu stecken. Es ist klar, daß ein derartiges Kapitel, das nach einem oder zwei Jahren keinen Leser mehr interessiert, das Buch kaputtmachen mußte. Ein Kritiker, den ich schätze, erklärte mir sein Mißfallen folgendermaßen: »Warum haben Sie dieses ganze Zeug in das Buch aufgenommen? Es hätte ein guter Roman werden können, aber Sie haben Journalismus draus gemacht.« Was er sagte, war vollkommen richtig, doch ich hätte nicht anders handeln können. Mir war zufällig bekannt, was nur wenigen Menschen in England nicht verborgen blieb, daß nämlich Unschuldige das Opfer einer falschen Anklage waren. Wenn mich das nicht grenzenlos empört hätte, hätte ich das ganze Buch überhaupt nicht geschrieben.
In der einen oder andern Form taucht das gleiche Problem wieder auf. Das sprachliche Problem ist komplizierter und würde hier zu weit führen. Ich möchte nur sagen, daß ich in den letzten Jahren versucht habe, weniger bilderreich, dafür präziser zu schreiben. Auf jeden Fall habe ich die Beobachtung gemacht, daß man über jeden Stil, sobald man ihn bis zur Vollkommenheit entwickelt hat, schon wieder hinausgewachsen ist. Farm der Tiere war das erste Buch, in dem ich in vollem Bewußtsein dessen, was ich tat, versuchte, das Politische und das Künstlerische zu einem Ganzen zu verschmelzen. Seit sieben Jahren habe ich kein Buch mehr geschrieben, aber ich hoffe,
Weitere Kostenlose Bücher