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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orwell George
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es bald wieder zu tun. Es wird bestimmt ein Mißerfolg, jedes Buch ist ein Mißerfolg. Aber ich bin mir ziemlich klar darüber, was für ein Buch ich schreiben möchte.
    Beim Durchlesen der letzten ein oder zwei Seiten fällt mir auf, daß sie den Eindruck hervorrufen könnten, die Gründe meines Schreibens seien ausschließlich gesellschaftlicher Natur. Ich möchte nicht, daß das der letzte Eindruck des Lesers ist. Alle Schriftsteller sind eitel, egozentrisch und faul, und der tiefste Grund ihres Schaffens liegt in geheimnisvollem Dunkel. Ein Buch zu schreiben ist ein grausamer, aufreibender Kampf, wie eine lange schmerzhafte Krankheit. Man würde es auch niemals tun, wenn man nicht von einem Dämon getrieben würde, der stärker ist als man selbst und einem unverständlich bleibt. Man weiß nur, daß dieser Dämon identisch ist mit dem Instinkt eines Babys, das durch Schreien die Aufmerksamkeit auf sich lenkt.
    Aber ebenso wahr ist, daß man nichts Lesbares schreiben kann, wenn man nicht fortgesetzt gegen seine eigene Persönlichkeit kämpft. Gute Prosa ist wie eine Fensterscheibe. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, welcher meiner Gründe am stärksten ist, dagegen weiß ich genau, welchem zu folgen sich lohnt. Bei einem Rückblick auf mein Werk stelle ich fest, daß meine Bücher immer dann leblos geworden sind, wenn ihnen eine politische Absicht fehlte und ich mich in gedrechselte Passagen, nichtssagende Sentenzen, schmückende Beiworte und ganz allgemein in Geschwafel verlor.
    Gangrel No. 4 , Sommer 1946

Einen Mann hängen
    Es war in Burma an einem trüben Tag in der Regenzeit. Ein mattes Licht, gelb wie Stanniol, fiel schräg über die hohen Mauern in den Gefängnishof. Wir warteten vor den Todeszellen, einer Reihe von Verschlagen, an der Vorderseite mit doppelten Eisengittern abgeschlossen wie kleine Tierkäfige. Sie maßen etwa zehn Fuß im Geviert und enthielten nichts außer einer Pritsche und einem Krug mit Trinkwasser. In einigen hockten braunhäutige stumme Gestalten am Gitter, das weiße Bettuch um ihren Körper geschlungen. Es waren die zum Tode Verurteilten, die in ein oder zwei Wochen gehängt werden sollten.
    Einen von ihnen hatte man aus seiner Zelle herausgeführt. Es war ein Hindu, ein kleiner, schmächtiger Mann mit rasiertem Schädel und wäßrig verschwimmenden Augen. Er hatte einen mächtigen, buschigen Schnurrbart, der in grotesker Weise viel zu groß für seine Figur war und eher zu einem Filmkomiker gepaßt hätte. Sechs hochgewachsene indische Wärter bewachten ihn und bereiteten ihn für den Galgen vor. Zwei standen mit Gewehren und aufgepflanztem Bajonett in Bereitschaft, während die andern ihm Handschellen anlegten. Durch die Handschellen zogen sie eine Kette, die sie an ihre Gürtel anschlossen, dann schnürten sie ihm die Arme eng an den Leib. Sie standen dicht um ihn herum und machten sich die ganze Zeit vorsichtig und besorgt an seinem Körper zu schaffen, als wollten sie sich vergewissern, daß er noch da sei – wie man einen lebenden Fisch festhält, der einem jeden Augenblick entschlüpfen und ins Wasser zurückgleiten könnte. Dabei verhielt sich der Gefangene vollkommen ruhig, ohne den geringsten Widerstand, und überließ seine Arme den Stricken, als bemerke er kaum, was vor sich ging – Es schlug acht Uhr. Ein Trompetensignal, dünn und trostlos verloren in der regenschweren Luft, tönte von den fernen Baracken herüber. Bei diesem Signal hob der Gefängnisdirektor, der abseits von uns andern stand und nachdenklich mit seinem Stock auf dem Boden herumstocherte, den Kopf. Er war Militärarzt, ein Mann mit einem grauen Zahnbürsten-Schnurrbart und einer rauhen Stimme.
    »Um Gottes willen, beeil dich, Francis«, sagte er gereizt. »Der Mann sollte in diesem Augenblick schon tot sein. Bist du noch nicht bereit?«
    Francis, der Oberaufseher, ein dicker Drawidiah, der in einer weißen Drillichuniform steckte und eine goldene Brille trug, winkte mit seiner schwarzen Hand.
    »Aber ja, Sir, aber ja, Sir!« blubberte er. »Iss alles schon gutt vorbereitet. Der Henker iss schon da. Kann lossgehen.«
    »Schön. Dann aber Eilschritt! Das Frühstück kann erst ausgegeben werden, wenn das hier erledigt ist.«
    Wir setzten uns in Marsch in Richtung Galgen. Rechts und links neben dem Gefangenen gingen die zwei bewaffneten Wärter, das Gewehr umgehängt; zwei andere hielten ihn an Armen und Schultern gepackt, wie um ihn vorwärts zu stoßen und zugleich zu stützen. Der Rest von uns,

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