Im Interesse der Nation
die Lippen des Russen. »Es gibt jedoch noch weitere Gründe, die bedeutend schwerer wiegen als die humanitären, falls man die Angelegenheit mit schwedischen Augen betrachtet.«
Der Russe verstummte erneut und wartete auf die Frage, die sich aus dem Gesagten ergab.
»Und was sollten das für Gründe sein, wenn ich fragen darf?« wollte der Botschafter wissen. Der Russe wartete einen Moment, bevor er antwortete.
»Ich bin stellvertretender Oberbefehlshaber der Marine und Chef des Zweiten Direktorats in Kaliningrad. Verstehen Sie, was das bedeutet, Herr Botschafter?«
»Aufrichtig gesagt, nein. Nun ja, das sagt mir nur, daß Sie folglich in der größten und von unserem Land aus gesehen nächstgelegenen sowjetischen Marinebasis eine wichtige Funktion haben. Sie sind ein hohes Tier in der sowjetischen Marine, was sich übrigens auch aus Ihrer Uniform ergibt. Na und?«
»Als Chef des Zweiten Direktorats bin ich für sämtliche Diversionsverbände der Marine und der Marineinfanterie verantwortlich. Verstehen Sie jetzt?«
»Nein, ich bin leider ein sehr zivil veranlagter Mensch. Wie heißen diese Verbände noch, wie sagten Sie?«
»Diversionsverbände. Lassen Sie es mich etwas ziviler ausdrücken. Es handelt sich um Sabotage und Störaktionen der Verbände, die Sie nicht ganz korrekt als ›Spetsnaz‹ bezeichnen. Es handelt sich um taktische Unterwasseroperationen, und zwar von Mini-U-Booten, wie Sie sie nennen. Kurz, ich bin für alle Operationen dieser Art auf dem Territorium Ihres Landes verantwortlich, oder vielmehr, ich war es, bis ich durch diese Tür trat. Verstehen Sie jetzt, wovon wir sprechen?«
Der Botschafter blieb zunächst stumm. Er fühlte sich plötzlich unfaßbar betrunken, war sich aber sicher, richtig gehört zu haben. Ihm war klar, daß die Worte, die er soeben vernommen hatte, bedeuteten, daß er nicht einmal unter Aufbietung seiner ganzen Phantasie die Konsequenzen der Tatsache beurteilen konnte, daß der Mann in dem lehmverschmierten Regenmantel vor kurzem sein Zimmer betreten hatte. Vorausgesetzt, daß alles den Tatsachen entsprach.
»Woher soll ich wissen, daß Sie die Wahrheit sagen?« fragte er so beherrscht wie möglich.
»Das können Sie nicht wissen. Auf Grund Ihrer Stellung können Sie das auch gar nicht beurteilen.«
»Was sollen wir tun? Was schlagen Sie vor?«
»Sehr einfach. Nur Sie und ich wissen, daß ich hier sitze. Lassen Sie uns als ersten Schritt versuchen, den Kreis, der hier in Ägypten Bescheid weiß, auf uns zwei zu beschränken. Als nächsten Schritt nehmen Sie mit den entsprechenden Behörden in Ihrem Land Kontakt auf, warten deren Anweisungen ab, und dann wird sich das Ganze schon lösen lassen, denke ich. Ist dies Ihre Privatwohnung?«
»Ja.«
»Haben Sie Gästezimmer?«
»Ja, im Obergeschoß. Aber was soll ich denn nach Stockholm melden? Was meinen Sie? Namen, Dienstnummer und Dienstgrad, oder was?«
»Lassen Sie mich einen Brief an Ihre militärische Führung schreiben. Schicken Sie ihn mit der Diplomatenpost nach Hause. Wenn man in Stockholm den Brief gelesen haben wird, wird es keine Zweifel geben. Meine Informationen sind für Ihre Nation von allergrößter Bedeutung. Das wird aus meinem Schreiben hervorgehen.«
»Es dauert noch drei Tage, bis wir unsere Diplomatenpost abschicken können, ich meine, ohne unnötiges Aufsehen zu erregen. Verschlüsselt und per Funk könnte ich das Ganze schon morgen früh senden.«
»Davon möchte ich ganz entschieden abraten. Wir hören Ihren Funkverkehr routinemäßig ab. Das eine oder andere bleibt zwar nicht im Netz hängen, aber im Moment wäre es ein wenig leichtsinnig, dieses Risiko einzugehen. Warten Sie lieber noch ein paar Tage. Bedienen Sie sich der Diplomatenpost. Sie müssen nämlich verstehen, Herr Botschafter, daß die Regierung meines Landes mich hier herausholen wird, wenn sie erfährt, wo ich mich aufhalte, und zwar ohne Rücksicht auf diplomatische oder sonstige Konsequenzen. Überdies unabhängig davon, ob dabei mehrere Menschen, Sie selbst eingeschlossen, sagen wir… zu Schaden kommen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Um so dringender, keine Zeit zu vergeuden. Wir verwenden bei unserem Funkverkehr Computercodes, die…«
Der Botschafter blieb mitten im Satz stecken. Er hatte geantwortet, ohne zu Ende zu denken, was die versteckte Drohung des Russen bedeutete. Er wohnte momentan allein in der Dienstvilla, da seine Frau in Schweden war, um bei ihrer Mutter zu sein, die im Sterben lag. Doch der
Weitere Kostenlose Bücher