Im Jenseits ist die Hölle los
verkneifen, dass die Frauen in dieser Halle wahrscheinlich genauso verrückt waren. »Die finnischen Frauen sind eigentlich alle irgendwie verrückt«, sagte ich, wobei ich an Elsa dachte.
Ich zählte, dass im Becken etwa fünfzig nackte Frau en planschten. Größtenteils waren es alte Weiber, nur wenige junge waren darunter. Propst Hinnermäki flüs terte dem Papst ins Ohr:
»Ich bedaure sehr, Eminenz… Heute scheinen hier be sonders viele Frauen mit Krampfadern und Hängebusen zu baden… Wenn Sie den Anblick nicht ertragen, bre chen wir auf, vielleicht können wir Ihnen später irgend wo anmutigere Vertreterinnen unseres Volkes zeigen… Ich vermute, dass zum Beispiel im Verwaltungsgebäude unseres nationalen Ölkonzerns Neste gerade die Reprä sentationssauna geheizt wird.«
Mir flüsterte er zu:
»Seit Uolevi Raade in Pension gegangen ist, ist dort die Sauna beinah jeden Abend und jede Nacht in Betrieb. Du kannst dir nicht vorstellen, was sich dort abspielt…«
Der Papst fand, dass die Frauen in der Halle sich durchaus sehen lassen konnten. Er wies Hinnermäkis Klagen rundweg ab:
»Nur keine falsche Bescheidenheit, Propst! In meinen Augen sehen alle diese Frauen einfach reizend aus. Sehen Sie nur mal diese dort am Beckenrand!«
Auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens rekelte sich eine große dicke Frau, ein Bein draußen, das ande re im Wasser. Mit der linken Hand kratzte sie sich die Schultern, womöglich hatte sie die Krätze? Die großen Brüste schaukelten im Takt ihrer Kratzbewegungen, der grobschlächtige Körper spiegelte sich an der Wasser oberfläche. Der Papst starrte die Frau gebannt an.
Ihr Anblick ließ Hinnermäki und mich schaudern, so dass wir lieber die Deckenfliesen betrachteten. Der Selbstmörder schien jedoch munter zu werden. Verstoh len musterte er die anwesenden Frauen. Man sah, dass er zum ersten Mal an einer solchen Stätte war und dass er sich durchaus wohl fühlte. Möglicherweise vergaß er sogar für einen Moment seine Sehnsucht nach dem Leben?
Im Anschluss setzten wir den Stadtrundgang mit ei nem Besuch im Ateneum fort, wo ich dem Papst die bedeutendsten Arbeiten der finnischen bildenden Künst ler zeigte. Kopfnickend betrachtete er sie, er war ein Kunstkenner, und als wir das Museum verließen und auf den Bahnhofsplatz traten, sagte er:
»Es sind sehr vitale Arbeiten. Natürlich sind Einflüsse der niederländischen und – entschuldige – auch aus der italienischen Malerei nicht zu leugnen. Dennoch ist eure Kunst sehr von eurer Natur geprägt, das ist deutlich zu spüren. Besonders gut gefiel mir das Bild, auf dem ein zweiköpfiger Rabe das dicke Buch zerreißt, das ein junges Mädchen in der Hand hält, es ist eine Szene am Meer, erinnert ihr euch? Ich glaubte darin eine gewisse Symbolik zu sehen.«
»Dieses Bild fand seinerzeit in Finnland weite Verbrei tung, natürlich als Kunstdruck«, erklärte Hinnermäki.
Der Selbstmörder äußerte schüchtern, aber voll Eifer, dass auch er einen Vorschlag für einen Programmpunkt habe, wenn wir es ihm nicht übel nahmen.
»Und wohin soll es gehen?«, fragten wir ihn. »Ich möchte euch in die Messehalle führen. Dort fin-
den heute die Meisterschaften der Provinz Uusimaa im Flugzeugmodellbau statt. Ich habe in jungen Jahren selbst Flugzeugmodelle gebaut und sie vor der Stadt auf den Wiesen fliegen lassen, damals, als ich noch lebte«, erklärte er mit glühenden Wangen.
Der Papst willigte mit Freuden ein. In der Messehalle war der Wettbewerb bereits in vollem Gange. Zierliche, mit Gummimotoren versehene Flugobjekte sausten elegant und souverän durch die große Halle. So kunst voll und so leicht sie waren, schien es unglaublich, dass sie von Menschenhand gemacht waren. Der Papst sagte begeistert, dass Engel – wenn es sie denn gäbe – wohl ebenso sanft schwebten wie diese Flugzeugmodelle.
Der Selbstmörder hängte sich an die Sprossenwand, die sich in der Halle befand, damit er ganz aus der Nähe zusehen konnte, wie die Modelle ihre kunstvollen Bah nen zogen. In diesem Moment genoss er wirklich sein Leben, wenn man mal so sagen darf, denn eigentlich war er ja tot. Er hätte die Wettkämpfe sicher am liebsten bis zum Schluss verfolgt, doch nach anderthalb Stunden flüsterten Hinnermäki und ich ihm zu, dass es wohl an der Zeit sei, den Stadtrundgang fortzusetzen. Wir fürch teten, dass sich der Papst langweilen könnte, wenn er ganze vier oder fünf Stunden – denn so lange
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