Im Kinderzimmer
Jenny hatten sich sofort mit kleinen Juchzern der Genugtuung auf die Plätze am einzig freien Tisch mit Blick auf das Treiben auf der Straße gestürzt.
Katherine dagegen war ihnen in ihrer neuerdings geübten Zurückhaltung langsamer gefolgt, ihre schwere Tasche gemessen vor sich hertragend, fast unterwürfig – ein scharfer Kontrast zur energischen Unbekümmertheit, mit der sich die anderen beiden bereits ihrer Mäntel entledigt und gesetzt hatten, ehe Monica fragte: »Ach, wolltest du hier drüben sitzen, Katherine? Weißt du, ich will immer Kate zu dir sagen, aber Kate paßt gar nicht zu dir. Willst du lieber auf dieser Seite sitzen? Sonst hast du nur uns als Aussicht.« Sie sagte es, ohne sich zu rühren, der höflich verneinenden Antwort gewiß.
»Nein, nein, bestimmt nicht. Ich sitze gut hier.« Am Fenster einge-keilt zwischen Tisch und verstaubter Grünpflanze, blickte sie dankbar auf ihre Begleiterinnen und auf das italienische Interieur, froh, einfach sitzen zu können, froh, die beiden zu sehen. »Wie sind denn die Preise hier?« fragte sie, weil sie meinte, etwas sagen zu müssen.
»Annehmbar«, versicherte Monica. Wenn Monica »annehmbar«
sagte, meinte sie keineswegs billig. »Deshalb kommen wir auch oft her. Bedienung lahm, Essen vorzüglich. Aber du warst doch sicher schon einmal hier, oder?«
»War ich das?«
»Bestimmt. Also, her mit der Karte, ich sterbe vor Hunger.«
»Himmel«, stöhnte Jenny, »Pasta – nein. Knoblauchbrot. Desserts… Wein? Wollen wir uns einen teilen? Du kriegst keinen, du bist ja eisern. Also Perrier, wie immer. Was nimmst du, Katherine?«
»Ich habe gar keinen großen Hunger. Nur einen Salat, denke ich.«
»Was? Ich bitte dich…« Monica hatte von den dreien das lauteste Organ, die größte Präsenz, war robust, füllig, das Gegenstück zur schmalen Katherine, die sie um ihre Zerbrechlichkeit, wie geadelt auch immer durch den Porzellanteint, geschickt betont vom geschlossenen, reinleinenen Kragen des elfenbeinfarbenen Kleids mit 23
seinem teuren seidigen Schimmer, keineswegs nur beneidete. Monica trug eine lange Strickjacke – ihren Märchenmantel, wie sie ihn nannte: in allen Regenbogenfarben, mit fröhlichen Reigen von Vö-
geln und Elefanten verziert. »Die Kinder finden ihn toll«, erklärte sie, »die Kollegen auch. Außerdem der perfekte Tarnmantel für alle Sünden wider die Figur.« Katherine fand die Jacke auch toll. Jenny trug adrette schwarze Hosen und eine Bluse, deren makelloses Weiß nur geringfügig durch eine eigelbbekleckerte Manschette beeinträchtigt war, die sie sofort zu verdecken suchte, eine instinktive Reaktion auf Katherines vollendete Erscheinung. Katherine strahlte etwas aus, was Jenny unwillkürlich an ihre ungezupften Augenbrauen, unrasier-ten Beine und klobigen Schuhe denken ließ. Sie nahm sich ja immer vor, das Haus gepflegt zu verlassen, doch der gute Vorsatz überlebte selten den allmorgendlichen Kampf mit zwei Kindern. Gegen Mittag spielte es dann kaum noch eine Rolle, und doch wunderte sie sich immer, wie Katherine es fertigbrachte, aus der Morgenschlacht un-versehrt hervorzugehen.
»Los, los jetzt. Ach, sag mal, Kate, hast du die Muster mitbringen können. Jenny meinte…«
»Unmengen«, meinte Katherine lächelnd und deutete auf die Tasche neben sich. »Für jede ein Dutzend, je ein Quadratmeter. Wirklich hübsch, findet ihr hoffentlich auch. Für ein paar Kissen oder eine kleine Tischdecke, irgend etwas in der Art, sollte es reichen. Und wenn ihr mehr braucht, kann ich es euch jederzeit zum Einkaufspreis besorgen, wißt ihr.«
Die beiden Frauen gegenüber sahen sich an. »Ach, du bist wirklich ein Schatz!« rief Monica. »Hör mal, das Essen bezahle aber ich.«
»Aber nein, das kann ich doch nicht…«
»Doch, kannst du sehr wohl. Dann zeig doch mal… Ach nein, laßt uns erst mal essen.«
»Bin ich auch eingeladen?« wollte Jenny wissen.
»Könnte dir so passen. Du schleppst schließlich keine Schätze an wie unsere brave Kate. Los, los, Essen. Hab nur eine Stunde Zeit. Na ja, oder vielleicht ein bißchen mehr. Wo hast du denn deine Tüten abgestellt, Jen? Am Eingang? Daß du keine Angst um die Sachen hast! Ich wär da nicht so vertrauensselig.«
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Monica war wirklich unheimlich nett, beschloß Jenny, eine unsinnige Feststellung eigentlich bei einer langjährigen Freundin, denn ihre Freundinnen pflegte sie nach kurzer Zeit kaum noch mit Attribu-ten wie »nett, biestig, klug, schön« zu bedenken; sie nahm sie
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