Im Kinderzimmer
kraftvoll, dunkelhaarig, lächelnd und konserva-tiv gekleidet im Vergleich zur Paradiesvogelschar der Designer.
Schon sein Anblick war eine Offenbarung gewesen, übertroffen noch von seiner Stimme. »Verzeihen Sie. Ich will erst gar kein Interesse an diesen aberwitzig teuren Stoffen heucheln, aber das da würde ich gerne kaufen, wenn Sie es fertig haben…« Er hatte auf die Tagesdecke gezeigt. Sie hatte sich die Haare hinter die Ohren gestrichen, hatte gelacht – wie damals oft noch, trotz all der Schwierigkeiten in ihrem Leben – ein spontan perlendes Lachen, das nach und nach zu einem Glucksen verebbte, ein Lachen, das ihren klaren Teint und die ebenmäßigen Zähne zur Geltung brachte. »Sie wollen sie wirklich haben?« hatte sie gefragt, auf gespielt ungläubige Weise das Gesicht verzogen und mit einer schmalen Hand ihre Kreation hochgehalten.
Ja, hatte er versichert, ich will sie wirklich haben, und ihr dabei tief 16
in die Augen gesehen. Ich will sie für mein eigenes Haus. Was halten Sie davon, wenn ich morgen noch einmal vorbeikomme? Ja, gerne, hatte sie zugestimmt, als Claud zurückgewirbelt kam und Besitz ergriff. Sie hatte dem Fremden nachgeblickt, der davonschritt, und hatte seine Worte nachklingen lassen: Ich will sie wirklich. Die halbe Nacht war sie aufgeblieben und hatte genäht, doch er war erst am letzten Tag wieder aufgetaucht, hatte geplaudert, beiläufig erzählt, er sei Architekt, sehe sich aber im Moment nur nach Dingen für den eigenen Bedarf um. Schade, daß der Bettüberwurf noch nicht fertig sei. Sie war wie hypnotisiert gewesen, machtlos unter Clauds eifersüchtigem Blick, außerstande, den Mann daran zu hindern, sich zu entfernen. Er hatte nur seine Karte hinterlassen. Er war bereits qualvolle fünfzig Meter weiter, als sie sah, daß er sein Portemonnaie liegenlassen hatte. Sie war ihm in bunten Sommerpumps und kle-mentinenfarbenem Taftrock nachgeeilt, hatte sich durchs Gedränge gewunden – »Halt! Halt! Sie haben etwas vergessen!« – und hatte im Gewühl erst in dem Moment begriffen, daß er, der die meisten anderen um einen Kopf überragte, längst gehört hatte und stehengeblieben war, als sie ihn fast über den Haufen rannte. »Hoppla, hoppla, immer mit der Ruhe.« Dann waren sie voreinander gestanden, lä-
chelnd, sie hatte ihm sein Portemonnaie wie eine Weihgabe hingehalten. Lachend hatte er sie plötzlich um die Taille gefaßt und mitten im vollen Gang im Kreis herumgewirbelt – eine so ausgefal-lene und unerwartete Geste, daß ihr der Atem stockte. Dieser Mann hatte nichts zu verbergen, hatte sich nicht gescheut, seine Freude über diese Begegnung auf der ansonsten eher uninteressanten Messe zu demonstrieren. Der »Verrat« an Claud machte ihr heute noch zu schaffen: Von einem Moment auf den anderen hatte sie ihn fallenlas-sen, unerhörtes Benehmen, die Bereitwilligkeit, mit der er es verzie-hen hatte, unverdient. Aber schließlich war Claud verheiratet und hatte im Grunde kein Recht gehabt, eifersüchtig zu sein.
Genug. Schluß jetzt. Das hatte seine Wirkung getan. Wie jedesmal.
Katherine versagte sich weiteres Schwelgen in der Vergangenheit, verbannte das Bild von sich, fünf Jahre zuvor, im langen Taftrock mit goldenen Ohrreifen, erhob sich vom Bett, strich die Falten aus der Tagesdecke und eilte die Treppe hinunter. Ihr war, als habe sie 17
ein Echo seiner Stimme emporsteigen hören: ein Abschiedsgemur-mel aus der Entfernung und die Haustür, die hinter seiner samstäglichen schlechten Laune ins Schloß fiel. Plötzlich konnte sie es nicht ertragen: Barfuß flog sie die Treppe hinab, zwei Stufen auf einmal, während die Haustür noch vibrierte. Auf dem Walnußtisch in der Diele sah sie sein Portemonnaie liegen. Ach nein, er vergaß nie etwas, wie? Ohne die Börse, das einzige, was er je liegenließ, würde er sich nackt fühlen, würde wütend sein. Schrecklich, zu schrecklich diese düstere Stimmung! Ach, David, geh nicht in dieser Stimmung fort, bitte! Warum so hastig? Sie öffnete die Haustür, geblendet von der hellen Sonne, und lief dann auf nackten Sohlen auf die Straße.
Nicht, David, bitte, nicht ohne richtig Adieu zu sagen, auch nicht für wenige Stunden! Ich soll doch für dich sorgen. Ihre Aufgabe und ihr ganzer Stolz. Sie rannte ungraziös auf rosigen Füßen die Steinstufen hinunter und ihm hinterher, holte ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein. Er hatte eben Jeremy ins Auto gepackt. Er blickte überrascht hoch, bemerkte das Nahen ihrer
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