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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Fyfield
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sich anfühlte, als könne man sie in kristallgroßen Klumpen abpflücken. Mehrfach hatte sie es wirklich getan: der Geschmack glich dem des Sandwiches – körnig, interessant. Mehr als diese kurze Anstandspause konnte sie sich nicht abringen. Im Gefühl unbeschreiblich guten Benehmens, solch guten Benehmens, daß sie sich gewünscht hätte, es könnte sie jetzt jemand sehen, zwang sie sich, die zweite Schnitte in kleine Häppchen zu zerpflücken, wobei sie die Krümel gewissenhaft auflas, damit ja nichts verloren ging, und zwang sich auch, nur einen einzigen Bissen auf einmal in den Mund zu schieben, wenn auch schneller und schneller. Sie stierte dabei besorgt auf den schrumpfenden Rest, immer noch in Panik, die Bissen könnten ihr entkommen. Und bald schon, so schrecklich schnell, war da Leere, wo zuvor Eßbares in Fülle gewesen war. Alle-alle, Oma, alle-alle. Dafür empfand sie jedoch ein herrlich sattes Gefühl, ein wohliges Grummeln, als der Magen rebellierte. Sie war beinahe glücklich und voller Vertrauen, daß sich das Wunder wiederholen würde.
    Danach nichts. Nur dieselbe wohlbekannte Müdigkeit, die Sonne ging unter und wandelte die Hitze, die sie zum Leben erweckt hatte, in Kälte um. Sie zog sich das Satinkleid um die Schultern und betrachtete das Schauspiel der letzten durchs Fenster fallenden Strahlen, die den Purpurstoff beleuchteten und ihn auflodern ließen. Sie strich mit der Hand liebevoll über den Stoff, so wunderbar glatt, und zog den gold-schwarzen Lurexschal zu sich heran, der ihr ebenfalls gefiel, der aber nicht so schön warm war wie das schwere purpurfar-bene Kleid. Wenn sie die Sachen jetzt schon ein bißchen vorwärmte, 8
    wären sie später schön warm; sie waren jetzt schon mollig, und die Nacht war noch fern.
    Sei brav, mein Kind, sei brav. Kannst du dich erinnern, was ich dir gestern gesagt habe? Sing mir vor, mein Liebchen.
    Rotkehlchen rot,
    liegt mausetot.
    Wer ist’s gewesen?
    Kommt der Sperling geflogen,
    mit Pfeil und Bogen:
    Ich bin’s gewesen.
    Sie stellte sich ein Zimmer voller tröstlicher Stimmen vor. Stimmen, die zum Beispiel sagten: »Dummerchen, Dummerchen, Dummerchen. Natürlich ist das Rotkehlchen nicht tot, es ist doch nur ein Lied; sei still. Na gut, wenn dir das nicht gefällt, nehmen wir ein anderes. Ich versprech’s dir, das Rotkehlchen wurde wieder gesund, die Leute haben nur Spaß gemacht, es fiel ihnen nichts Besseres zum Singen ein, dumme Leute. Dieses magst du aber, nicht? Weißt du noch, wie’s geht?« Das Kind summte vor sich hin und zog das Abendkleid bis zum Kinn hoch.
    Für den Papa ein Tänzchen,
    klein Hänschen…
    Wieso Hänschen, bin ein Mädchen, soll ein Junge singen, soll er singen, nicht ich. Sei nicht albern, er kann sich das nicht merken.
    Mach einfach mit der nächsten Strophe weiter. Die geht so: Kriegst ein Fischlein,
    aufs Tischlein.
    Ein Fischlein,
    wenn der Fischer heimkommt.
    »Mag kein Fischlein«, murmelte die Kleine in den leeren Raum hinein. »Mag Fischlein nicht und mag Papa nicht.« Flüchtig tauchte wie ein Schatten an der Wand oberhalb des Geburtstagsposters ein ver-9
    trautes, halbvergessenes Gesicht auf, ein Kopfschütteln, das mit dem schwindenden Licht verging, während eine Stimme leise mahnte:
    »Das darfst du nicht sagen, meine Süße, wirklich nicht. Laß uns zusammen noch ein Liedchen singen. Du bist aber auch schwierig heute.«
    »Mag Papa nicht, mag Papa nicht, laß mich raus, bitte…«
    Die Wespe schwebte über ihrer Stirn. Sie fühlte sich zu erschöpft, zu gleichgültig, um sie zu verscheuchen. Wenn das Streifendings stach, müßte sie vielleicht schreien, aber sie konnte nichts dagegen tun. Ihre Arme waren schwer, unmöglich, mit ihnen danach zu schlagen. Sing doch, sing zu den Fagottklängen, die das Bäuchlein von sich gibt.
    Lotte fällt die Locke immer mitten in die Stirn… Wie ging das noch weiter? Sie war ungezogen, so war es. Nein, sie war artig, so war es. Oder vielleicht folgte ihr ein Lämmchen, weiß wie Schnee.
    Und wenn sie artig war, dann war sie unausstehlich.
    Vor der Tür, kaum hörbar, das leichte Summen von Stimmen, die Wörter unverständlich, aber der Klang vermittelte trügerische Zufriedenheit. An der Innenseite der Tür war der Lack zerkratzt. Außen war der Lack makellos. Das Kind wurde von den Kratzspuren abgelenkt, die sich vor seinen Augen in phantastische Gestalten verwan-delten – ähnlich wie bei dem Tapetenmuster in seinem Schlafzimmer. Als die Wespe sich auf die Hand

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