Im Königreich der Frommen (German Edition)
Abwasser-Tanks unter der Erde, die alle paar
Monate ausgepumpt werden mussten. Und das Frischwasser lagerten die
Bewohner in Tanks auf dem Dach. Auch das kam mit dem Tankwagen.
Irgendwann fuhren
wir an der breiten Straße an ein paar Kunststoff-Containern
vorbei. Männer lagerten davor auf Decken am Boden und tranken
Tee: die Grundstücksverkäufer. Die Container waren ihre
provisorischen Bürogebäude. Familien, Männer in dem
weißen knöchellangen Thoube und dem rot gescheckten
Schamagh auf dem Kopf und ihre Frauen ganz in schwarz gehüllt,
hatten ihre Autos am Straßenrand geparkt und erkundigten sich
nun nach den Grundstückspreisen oder verhandelten schon über
das Rechteck Wüste, das sie kaufen wollten.
„ Saudis
brauchen einfach ihr eigenes Grundstück“, sagte der
europäische Bauingenieur, mit dem ich hinaus in die Wüste
fuhr. „Wir bauen gerade so schöne Apartmentblocks, aber
da kriegt man keinen Saudi rein. Die brauchen ihr eigenes Haus mit
einer drei Meter hohen Mauer drum herum.“
Nach ein paar
Kilometern hörte die breite Straße plötzlich auf und
auch das Muster aus ausgelegten Steinen. Dahinter begann die Wüste,
die noch nicht vermessen und in Grundstücke aufgeteilt war. Bis
die nächste Bauphase beginnen und auch sie verschlucken würde.
Der Bauboom gab
Riad etwas Vorläufiges, so als wurde die Stadt geplant und
gebaut für Bewohner, die irgendwann kommen würden, wenn
die Stadt fertig war. Dann würden weitere Straßen gebaut
und weitere Stadtautobahnen, auf denen man noch weiter fahren
konnte, als jetzt schon, aber auch noch länger im Stau stehen
konnte. Denn die Straßen Riads und Dschiddas sind notorisch
verstopft. Vor allem auf den Stadtautobahnen kann man am Morgen
Stunden in seinem Auto verbringen.
Dann gab es aber
auch wieder Gebäude in Riad, die schon fertig waren, für
die es aber noch keinen Zweck gab. In der Takhlia-Straße,
einer der besten, weil zentralsten Adressen Riads, gab es Reihen von
Geschäften, in die niemand hinein ging. Sie waren voll mit
Stilmöbeln und Gartengeräten und anderen Waren, aber ohne
jegliche Kunden. Es gab Restaurants, in denen keiner aß, und
Hochhäuser, in die keiner einzog. Der einzige vernünftige
Grund, warum sie gebaut wurden, war, dass der Zement billig ist im
Königreich und die Saudis ihr überschüssiges Geld
nicht gerne in den Aktienmarkt investieren. Und wer weiß!
Vielleicht wird ja irgendwann wirklich jemand den Geschmack an
Stilmöbeln entwickeln.
Gebaut wird
trotzdem wie verrückt. Wie bei allen Bauprojekten in Riad war
die Bauzeit der riesigen Prinzessin Nora Universität
rekordverdächtig. Den Grundstein hat König Abdullah im
Oktober 2008 gelegt. Im Mai 2011, als dort noch gebaut wurde, weihte
er die Universität ein. „Eigentlich ist so etwas
unmöglich“, sagt der Bauingenieur. „Im Grunde
konnte das eigentlich nicht geschafft werden.“ Aber es wurde.
König Abdullah
ist Ende Achtzig. Er hat einige symbolische Reformen für die
Frauen im Königreich eingeführt. Die Prinzessin Nora
Universität gilt als ein Projekt, das er persönlich
vorangetrieben hat. Das erklärt die unglaubliche
Geschwindigkeit, mit der der Universitäts-Campus gebaut wurde.
Bei der Eröffnung
haben die saudischen Zeitungen die Universität als Symbol der
Gleichberechtigung gefeiert, aber sie ist alles andere als das. Wie
überall in Saudi Arabien hat bei ihrer Planung und ihrem Bau
die rigide saudische Geschlechtertrennung die entscheidende Rolle
gespielt.
Die ganze
Universität ist nämlich so angelegt, dass alle Räume,
in denen sich Studentinnen aufhalten werden, im ersten Stock oder
höher liegen. Die männlichen Universitätsangestellten
dagegen haben ihren Arbeitsbereich im Erdgeschoss und darunter.
Theoretisch werden die Geschlechter also nie zusammentreffen.
Die saudischen
Zeitungen haben den technischen Fortschritt der Züge gepriesen,
die die Gebäude verbinden. Sie fahren vollautomatisch, kommen
also gänzlich ohne Fahrer aus.
Auch das hat jedoch
mit technischer Innovation wenig zu tun. Das Hochbahn-System
befindet sich nämlich auf der ersten Etage. So können die
Studentinnen mit den Zügen alle Gebäude erreichen, ohne
männliche Zugfahrer anzutreffen oder jemals ins Erdgeschoss
absteigen zu müssen.
Der Bauingenieur
formuliert es positiv: „Die Idee dahinter, wie der Campus
strukturiert wurde, war, dass die Studentinnen unverschleiert
herumlaufen können.“ Oder anders gesagt: Dass die
Studentinnen niemals mit Männern,
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