Im Königreich der Frommen (German Edition)
Baustelle
gebracht. „Der Sub-Unternehmer weiß genau, dass wir
nichts gegen ihn unternehmen können“, sagt er enttäuscht.
„Zur Polizei können wir ja nicht gehen, weil wir illegal
im Land sind.“
Der Bauboom im
Königreich wird jedoch weitergehen – mit oder ohne
Alpajora. In Saudi Arabien gibt es viele wie ihn und in der weiten
Welt noch viele viele mehr.
Unter den Händen
der Gastarbeiter wachsen die Neubauten mit rasender Geschwindigkeit
in die Höhe, aber die wenigen alten Gebäude zu erhalten,
die es im Königreich gibt, ist schon ein viel heikleres Thema.
In manchen Fällen werden sie den Kräften der Witterung
überlassen, in anderen sind es die saudischen Behörden
selbst, die sie niederreißen.
Die beste Beispiel
für den ersten Fall ist Dschiddas historisches Altstadtviertel
Al Balad, die besten Beispiele für den zweiten Fall sind die
Städte Ad Diriya, Mekka und Medina. Die Fälle all dieser
historischen Stätten zeigen jedoch, wie schwer sich die Saudis
tun, wenn sie keinen Beton abwerfen können, um etwas Neues zu
bauen, sondern Bauten mit einer Vergangenheit erhalten sollen.
Wie
immer im Königreich hat das religiöse Ursachen. Die in
Saudi Arabien vorherrschende Interpretation des Islam, der
Wahabismus, sieht überall die Gefahr für shirq –
Vielgötterei, Götzendienst, Bilderverehrung. Deshalb ist
es verboten, ein historisches Gebäude zu erhalten – so
als bestünde die Gefahr, jemand könnte sich davor auf den
Boden werfen und anfangen, es anzubeten.
Von einer
rivalisierenden Herrscherfamilie im neunzehnten Jahrhundert aus
ihrer alten Hauptstadt Ad Diriya vertrieben, bauten die Al Saud
deshalb lieber eine gänzlich neue Hauptstadt, als sie die
Region wieder eroberten. Die alte ließen sie verfallen.
Ad Diriyah gilt als
seltenes Beispiel der Tonarchitektur des 18. Jahrhunderts in
Zentralarabien, aber lange dämmerte die Stadt vor den Toren
Riads vor sich hin und schmolz und verschwand wie eine vergessene
Sandburg am Strand.
Vor ein paar Jahren
beschloss die saudische Regierung, die historischen Stätten des
Landes für Touristen herzurichten. (Freuen Sie sich aber nicht
zu früh. In absehbarer Zeit werden Sie Ad Diriya nicht besuchen
können. Europäer bekommen nur ein Visum, wenn sie im
Königreich arbeiten, einen Angehörigen besuchen, der dort
arbeitet, oder zur Pilgerfahrt dorthin fahren.)
Gänzlich
unberührt stand die Stadt auf sanften Hügeln am Rande des
Wadi Hanifa wie die Ruine einer vergessenen Siedlung aus einem
Gemälde von Salvador Dali. Große Paläste und
mächtige Forts standen dort, aber auch die Häuser reicher
Bürger und Händler in einem Gewirr kleiner Gassen und
verwinkelter Plätze.
Alles in dieser
Stadt war aus Ton gebaut. Die Decken der Bauten waren mit
Holzstämmen verstärkt, die aus den Ton-Fassaden ragten wie
Zahnstocher aus einem Kastanienmännchen. Fast zweihundert Jahre
lang war Ad Diriyah den Kräften der Witterung ausgesetzt.
Das Königreich
beantragte die Aufnahme Ad Diriyahs in die UNESCO-Liste des
Weltkulturerbes. 2010 wurde der Antrag angenommen. Seitdem reißen
Bauunternehmen die alten Ruinen Ad Diriyahs ab und ersetzen sie
durch neue Bauten, die von außen den alten ähnlich sehen.
Am Nordwesthang
stehen noch Ruinen, verwunschen und verlassen, träumerisch
schief und ziseliert verspielt, romantische Zeugen einer anderen
Zeit, dahingeflossen nach Jahrhunderten des tiefen Schlafes. Daneben
erheben sich schon die neugebauten Häuser. Die haben den Charme
des Unregelmäßigen, der runden, handgeformten Linien des
Tonbaus völlig verloren. Im Grunde sehen sie schon aus wie fast
alle Regierungsgebäude in Riad: rechteckig gerade, mit
wüstenfarbenen Fassadensteinen verkleidet, schlicht und
funktional, nur keine Verzierung, kein Bild, kein Ornament. Es
bricht einem das Herz.
Das Viertel Al
Balad in Dschidda ist ein ähnlich tragischer Fall. Al Balad ist
einer der ganz wenigen Orte in Saudi Arabien, der historisch
gewachsen ist, der authentisch wirkt und der Flair hat. In einem
Land, in dem man in den Städten fast nie weit von Tangenten weg
ist, auf denen zu viele Saudis zu oft und in zu großen
Geländewagen herumheizen, wirkt das Viertel mit seinen engen
Gassen und alten Häusern wie eine stille Oase, ein lange
herbeigesehntes Refugium in der Wüste der Auto-Gesellschaft.
Die hochgewachsenen
Häuser wurden im 18. und 19. Jahrhundert gebaut. Manche aus
elfenbein-farbenem Korallenstein, der im Roten Meer vor der Küste
Dschiddas gebrochen
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