Im Königreich der Frommen (German Edition)
Häuser nahmen sie in
ihre Mitte. Sie hatte eine schlichte, verblichene Backsteinfassade.
Vielleicht war das Holztor am Eingang etwas größer als
das der Nachbarhäuser. Aber sonst deutete nichts auf ein
Gotteshaus hin.
Der Imam saß
auf einer Art Holzthron an der Stirnwand im Innenraum der Moschee.
Vor ihm saßen vielleicht fünfzig Zuhörer.
Vor der Tür
der Moschee standen ein paar einfache Holzbänke. Dort folgten
wir der Rede des Imams über eine Lautsprecheranlage. Neben uns
saßen zwei Dutzend junge Männer, aber auch ein paar
ältere. Es war ein kühler Abend. Ein paar Jungen
verteilten ab und zu warmen Tee in Pappbechern.
Am Anfang sprach
der Imam mit tiefem Timbre, mit nur wenig modulierter, leicht
leiernder Stimme. Die Zuhörer saßen andächtig
vornüber gebeugt und ließen sich vierzehn Jahrhunderte
zurückversetzen. Während wir lauschten, konnte Hassan
nicht übersetzen. Er hatte mir schon vorher erzählt,
welchen Teil der Geschichte der Imam an diesem Abend referieren
würde. Ich kannte also den groben Inhalt. Aber die genauen
Worte des Imam verstand ich nicht.
Mit der Zeit wurde
der Ton des Imams lebendiger und leidenschaftlicher. Die ersten
Zuhörer fingen an zu schluchzen. Was das ausgelöst hatte,
wusste ich nicht. Jetzt aber war der Damm gebrochen. Viele stimmten
nun mit ein. Bald war ich von einer Gruppe schluchzender Männer
umgeben. Die Männer um uns weinten kollektiv wie für einen
kürzlich verstorbenen Verwandten. Und das war erst der siebte
Tag. Wie würde es erst am zehnten Tag werden, wenn Hussein dann
wirklich starb?
Nach der Vorlesung
spazierten Hassan und ich ein bisschen durch die Innenstadt. Wir
konnten uns frei bewegen. Wie angekündigt hielten sich
Sicherheitskräfte von der Innenstadt fern. Gruppen von jungen
Männern schlenderten durch die Straßen. An Suppenküchen
wurde kostenlos Essen und Tee verteilt. An Mauern und Häuserwänden
hingen Plakate mit dem ikonengleichen Konterfei Husseins. Seine
khol-geränderten Augen, den erleuchteten, himmelwärts
gehobenen Blick, seine überirdische, fast weibliche Schönheit,
sieht man auch in vielen schiitschen Wohnhäusern. Von den
Dächern wehten schwarze und blutrote Trauerfahnen.
Rund einhundert
Männer zogen durch die Straßen und schlugen sich mit
voller Wucht im Gleichtakt auf die Brust. Sie waren schwarz
angezogen und schritten im Takt der Schläge, die sie auf sich
niederregnen ließen. Ich musste sofort an die Demonstration
denken, die ich im März gesehen hatte.
Am Rand eines
großen Platzes sah ich einen Stand, über den zwei
Transparente mit den Bildern der vier kürzlich getöteten
jungen Schiiten gespannt waren. Lachend blickten ihre
Kindergesichter von der Folie. Darunter stand: „Die Märtyrer
Qatifs“.
Ali (den Namen habe
ich geändert) war gerade dabei, den Stand abzubauen. Seine
Freunde halfen ihm. Alle trugen dunkle Kleidung, schwarze College-
und Fliegerjacken und Hosen, nicht den weißen, in Riad
obligaten Thoube. Auch ihre Tücher um Hals und Kopf waren nicht
wie in Riad rot-weiß, sondern schwarz-weiß. Ali sagte,
zusammen mit seinen Freunden habe er den Stand organisiert, damit
die vier jungen Männer nicht vergessen würden.
Ich fragte nach den
roten und schwarzen Fahnen, die man überall an den Fassaden und
von den Dächern hängen sah. „Wir hängen die
roten Fahnen auf“, sagte Ali wie selbstverständlich,
„weil wir glauben, dass die Mörder Imam Husseins noch
nicht bestraft wurden.“
Trotz des Aufrufes
der vier Imame war Ali einer, der noch demonstrieren ging. Ich
verabredete mich mit ihm zur geplanten Demonstration am nächsten
Tag. Sie war am Nachmittag, wieder in der Innenstadt, aber diesmal
war es nicht so schwierig durchzukommen. Noch immer hielten sich die
Sicherheitskräfte fern.
Allerdings war der
Protestzug auch wieder auf mehrere hundert Demonstranten
zusammengeschrumpft. Zwei Reihen Kinder liefen mit Bannern vorneweg,
auf denen „die Märtyrer Qatifs“, die vier jungen
Toten, abgebildet waren. Dahinter marschierten Männer aller
Altersgruppen und am Ende tummelten sich, mit ein paar Schritten
Abstand, dreißig Darth Vaders in geraden Reihen. Die
Demonstranten skandierten: „Wir sind stolz auf euch Märtyrer.
Wir werden eure Sache nicht vergessen.“
Schon am Vorabend
hatte ich Ali gefragt, warum er trotz der Gewalt bei den Protesten
immer noch demonstrierte. Er sagte, als folge er einer Naturgewalt:
„Wenn man es im Blut hat, kann man nicht aufhören. Selbst
wenn man es
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