Im Königreich der Frommen (German Edition)
Gesprächspartnerin traf, googelte ich
ihren Namen und stieß darauf, dass sie bei der Protestaktion
gegen das Fahrverbot 1990 dabei war.
Als ich sie bei dem
Treffen danach fragte, fühlte sie sich überrumpelt. Nur
mit Widerwillen und unter der Bedingung, dass ich ihren Namen
änderte, erklärte sie sich bereit, mit mir über diese
Episode zu reden. Dennoch hing mein Interesse an der Protestaktion
gegen das Fahrverbot auch weiter über dem Gespräch wie ein
peinlicher Geruch, als wir über anderen Themen sprachen.
Nennen wir die Frau
Aischa Al Ghamdi. Ihre Praxis war im dritten Stock eines Wohn- und
Geschäftshauses an einer der besten Straßen der Riader
Innenstadt. Ihre Räume verströmten ein schwer nicht zu
bemerkendes europäisches Flair: Wände, gestrichen in
gedeckten Farben, dezente, stilsicher gewählte Möbel aus
hellem Holz, gerahmte Kunstdrucke an den Wänden und Sitzmöbel
mit beruhigend-dezenten Sitzkissen.
Als ich im
Wartezimmer Platz nahm, verließ gerade eine Frau mit einem
Kind die Praxis. Wahrscheinlich war ich in der Praxis einer
Kinderpsychologin gelandet, dachte ich; einer Kinderpsychologin,
deren Behandlung sich nicht jeder leisten konnte. Weiter habe ich
nicht gefragt.
Ihren Namen wollte
Frau Al Ghamdi, wie gesagt, nicht in einer Zeitung veröffentlicht
sehen, denn „ein Artikel ist es nicht wert, seinen
Lebensunterhalt aufs Spiel zu setzen“, sagte sie.
Dafür hatte
ich Verständnis, denn die Frauen, die 1990 fuhren, wurden
verhaftet, aus ihren Jobs entlassen und erst Jahre später
wieder eingestellt. Solange durften sie auch das Land nicht
verlassen. „Im Prinzip leiden wir heute noch darunter. Alle
Frauen wurden nicht befördert. Das hat unser Leben geprägt“,
sagte Al Gahmdi.
Dennoch, fuhr sie
gleich fort, wolle sie die Erfahrung nicht missen. „Das war
das Beste, das ich je in meinem Leben gemacht habe“, sagt sie
trotzig. Und: „Ja, ich würde es wieder tun.“
Inspiriert war der
Protest damals von den amerikanischen GIs, die während und nach
dem ersten Golf-Krieg im Königreich stationiert waren. Darunter
waren auch Soldatinnen, die wie selbstverständlich
Militärfahrzeuge steuerten. Außerdem waren nach der
Invasion ihres Landes durch Saddam Husseins Truppen einige tausend
Kuwaitis nach Saudi Arabien geflohen. Auch die kuwaitischen Frauen
durften fahren. Nur die saudischen durften das nicht.
Um das zu ändern,
setzten sich siebenundvierzig Frauen zusammen in vierzehn Autos und
drehten ein paar Runden durch das Riader Geschäftsviertel. „Das
war nicht als Spaß gemeint“, sagt Al Ghamdi. „Wir
waren uns völlig bewusst, dass wir festgenommen werden
konnten.“
Und so kam es. Die
Frauen wurden von der Polizei gestoppt und auf ein Revier gebracht,
wo sie von ihren Männern und Vätern abgeholt werden
mussten. Ihre Protestaktion war ein riesiger Skandal. Schnell wurden
die siebenundvierzig zu Verräterinnen an der Sache des
Königreiches gestempelt. Von den Religiös-Konservativen
wurden sie in den Zeitungen als „Huren“ beschimpft.
Gerüchte kursierten, sie seien Prostituierte, die GIs ihre
Liebesdienste angeboten hätten. Broschüren mit ihren
Fotos, Namen und Adressen und denen ihrer Ehemänner wurden
zigtausendfach im Land verschickt. Die Gläubigen wurden
aufgefordert, in den Moscheen für die Abtrünnigen zu
beten.
„ Vor dem
Protest dachten wir, das Fahrverbot wird in zwei, drei Jahren
fallen“, sagte Al Ghamdi nachdenklich. „Aber das ist
jetzt einundzwanzig Jahre her und es ist immer noch gültig.“
Damals erließ
der Groß-Mufti, der oberste religiöse Geistliche des
Königreiches, eine Fatwa, die Frauen das Fahren verbot. In den
Jahren danach gab es immer wieder offene Briefe an den König,
das Verbot fallen zu lassen. Einzelne Frauen brachen das Tabu, aber
es hielt eisern stand.
Im Sommer 2011 gab
es wieder eine größere Kampagne, das Fahrverbot zu
stürzen. Diesmal jedoch fuhren ein paar Dutzend Frauen elf Tage
lang, völlig ohne behelligt zu werden. Und das ging so.
Im Frühjahr
2011 hatte eine junge Frau eine Kampagne mit dem Schlagwort
„Women2Drive“ begonnen: Manal Al Scharif. Nachdem sie
innerhalb weniger Wochen mehr als 12.000 Unterstützerinnen auf
„Facebook“ gewonnen hatte, schloss sich ihr Wajeha
Huwaider an. Beide Frauen arbeiteten beim staatlichen Ölkonzern
Aramco in Dahran, am Persischen Golf. Wajeha Huwaider ist die wohl
radikalste Frauenrechtlerin im Königreich. Sie hat die
Situation der Frauen dort mit der Sklaverei
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