Im Königreich der Frommen (German Edition)
wollte.“
Die Gespräche
mit dem Gouverneur der Ost-Provinz seit dem Beginn der Proteste,
sagte er, hätten doch nichts eingebracht. „Solche
Gespräche gibt es seit dreißig Jahren. Unsere Vertreter
sagen uns danach, der Gouverneur habe Veränderungen
versprochen, aber dann passiert nichts. Ich frage mich, ob er
überhaupt etwas zu sagen hat. Am Ende werden die Entscheidungen
doch in Riad gefällt. Dort hat das wahabische Establishment das
Sagen.“
Aber wie lange soll
das noch so gehen, fragte ich, wie lange wolle er das noch
durchhalten?
Solange wie nötig,
sagte er und seine Freunde um ihn herum nickten. „Solange bis
die Schuldigen am Tod der vier Märtyrer bestraft sind. Und bis
wir endlich nicht mehr Bürger zweiter Klasse sind.“
Post Scriptum vom
April 2013:
Die Demonstrationen
gehen unvermindert weiter – aber ohne Sayed Ali. Mit seiner
Frau hat er ein zweites Kind bekommen. Nach seiner Verhaftung,
schreibt er mir in einer E-mail, hatte und habe er „nichts
mehr mit diesen Dingen zu tun“.
Auch Hassan geht
nicht mehr demonstrieren. Er konzentriert sich „wegen der
Sicherheit und der politischen Probleme auf sein Geschäft und
seine Familie“. Für eine Tageszeitung schreibt er eine
Kolumne über lokale Unternehmer.
Die Zahl der bei
den Protesten getöteten jungen Schiiten ist auf sechzehn
angestiegen. (Die Nachrichtenagentur „Reuters“ zählt
sogar siebzehn.) Die Fotos und Videos der jungen Märtyrer sind
überall im Internet zu sehen.
FRAU AM STEUER, WIRD DAS HEUER?
Das Königreich
der Frommen ist das einzige Land der Welt, in dem Frauen keine
Fahrzeuge führen dürfen. Halt! Das stimmt nicht ganz. Seit
April 2013 dürfen Frauen nämlich Fahrrad und Motorrad
fahren. Das stimmt aber auch wieder nicht ganz. Sie dürfen das
nämlich nur im Darth Vader-Kostüm, unter der Begleitung
eines Vormundes und nicht auf öffentlichen Straßen und
Plätzen, sondern „nur zur Unterhaltung“ in
Freizeit- und Vergnügungsparks.
Auch wer diese
Änderung bekannt gegeben hat, ist bezeichnend: die Kommission
zur Aufrechterhaltung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters.
Dass Frauen fahren, ist im Königreich zwar verboten, aber nicht
durch ein Gesetz, es ist einfach nur Sitte dort. Deshalb wacht
darüber die religiöse Polizei.
Auch wenn das die
Männer im Königreich gerne behaupten, hat das Fahrverbot
für Frauen nichts mit der Verstopfung der Straßen zu tun
oder mit vermeintlicher Verkehrssicherheit, sondern es findet seine
Begründung allein in der rigiden Geschlechtertrennung. Für
die Religiös-Konservativen ist das Fahrverbot von zentraler
Bedeutung. Wie man später sehen wird, glauben sie, wenn das
Fahrverbot fällt, fällt das ganze „perfekte
islamische System“.
Ein Hinweis darauf
ist schon, dass das, was bei Frauen nicht geduldet wird, für (männliche) Kinder
kein Problem ist. Immer wieder einmal habe ich 11-, 12-, 13-jährige
Jungen Autos durch Riads Straßen manövrieren sehen,
manchmal mit einem Darth Vader auf dem Beifahrersitz, manchmal ohne.
Oft fuhren die Pimpfe Hummer, jene riesigen, US-Militärfahrzeugen
nachempfundenen Geländewagen. Sie konnten kaum übers
Lenkrad schauen, aber ihre Autoschiffe hatten sie gut im Griff.
In einem Artikel
über Frauen, die sich von ihren minderjährigen Söhnen
durch die Gegend fahren ließen, stellte eine englischsprachige
Zeitung erstaunt fest: „Als ,Arab News' diese Frauen fragte,
ob sie dafür sind, dass Frauen im Königreich fahren
dürfen, sagten eigenartigerweise alle Nein.“
Saudische Frauen
geben in der Öffentlichkeit nicht ihren Namen an, weil das als
unehrenhaft gilt, sondern identifizieren sich als „Mutter von
...“. Laut „Arab News“ sagte die Mutter von Ramis:
„Viele unverantwortliche Mädchen würden Spritztouren
machen und versuchen anzugeben. Das wäre Wahnsinn. Ich brauche
diesen Wahnsinn und diese Gefahr nicht, jedes Mal wenn ich wohin
fahren muss.“ Ja, ja, immer diese unverantwortlichen Frauen,
die Spritztouren machen! Die kennen wir schon. Die kennen wir.
Natürlich
ist das Fahrverbot für Frauen im Königreich exotisch und
antiquiert. Das war es auch schon 1990, bei der letzten größeren
Protestaktion dagegen. Aber u m
zu sehen, was aus dieser ersten Protestaktion geworden ist, sprach
ich mit einer der siebenundvierzig Frauen, die damals mit dem Auto
ein paar Runden in der Riader Innenstadt drehten.
Eigentlich
recherchierte ich zum Thema „Frauen und ihr Vormund“.
Bevor ich jedoch meine
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