Im Königreich der Frommen (German Edition)
„Schnauzl, schnauzl...Salah!“ Leute, geht
zum Gebet, war hier die Botschaft.
Die Kommission ist
eine wenig transparente Organisation. Nach manchen Berichten ist sie
direkt dem König unterstellt, nach anderen dem
Innenministerium. Lange konnten die Freiwilligen so gut wie ohne
öffentliche Kontrolle operieren.
Nach einigen
spektakulären, breit in der saudischen Presse beschriebenen
Fällen darf die Kommission jedoch seit 2006 Verdächtige
nicht mehr ohne das Beisein der regulären Polizei verhören.
Eigentlich. Die Verhöre der Kommission hatten zu einigen
Todesfällen geführt und ihre wilden Verfolgungsjagden von
jungen Paaren durch die Städte, die möglicherweise nicht
verheiratet waren, kamen auch nicht so gut an.
Auffällig an
der religiösen Polizei des Königreiches fand ich aber vor
allem, dass man sie so selten sah. Sie war berüchtigt, jeder
hatte Angst vor ihr, jeder las die Geschichten in der Zeitung, wie
sie offizielle Veranstaltungen stürmten und ausländische
Gäste zusammenputzten. Sie waren religiöse Fanatiker, das
war klar. Jeder konnte seine eigenen Geschichten über die
Freiwilligen erzählen, trotzdem ging es allen wie mir: In der
freien Wildbahn sah man die Truppen des Propheten so gut wie nie.
Das bestätigte
jedoch nur, was im Königreich ohnehin offensichtlich ist: Es
ist die Stammesgesellschaft selbst, die die Ordnung durchsetzt, der
Clan und die Familie, nicht die Freiwilligen. Es sind die Väter
und Mütter, die Brüder und Ehemänner, die über
die Tugend wachen. Und sollten die es versäumen, sind es die
weiteren Verwandten und Nachbarn. Die Kommission wird ganz gern nach
Hinweisen aus der eigenen Familie aktiv.
In jüngster
Zeit wurde die Macht der Freiwilligen, wie gesagt, auch etwas
beschnitten, aber dass das Königreich zur Zeit des Gebets mehr
oder weniger zum Stillstand kommt, darauf achtet die Kommission
immer noch peinlich genau.
Und das, wie
gesagt, fünfmal am Tag: Um circa fünf Uhr morgens (Fajr),
um fast genau 12 Uhr (Dhuhr), um circa 15 Uhr (Asr), um circa 18 Uhr
(Maghrib) und um circa 20 Uhr (Isha).
Circa: Weil sich
diese Zeiten fast täglich ändern. Sie hängen nämlich
vom Stand der Sonne ab. Festgelegt werden sie mit einem Stock, der
einen Schatten wirft. Wenn die Sonne ihren Zenit überschritten
hat, beginnt das Dhuhr-Gebet, und es endet, wenn der Schatten des
Stockes so lang ist wie er selbst.
Weil die Zeiten vom
Stand der Sonne abhängen, hat natürlich auch jede Stadt,
jedes Kaff eigentlich, seine eigenen Zeiten. Heutzutage kann man sie
auf Internet-Seiten nachschauen. Und das sollte man auch, wenn man
nicht ewig vor Läden und Restaurants herumstehen will.
Trotzdem tat ich
das immer wieder. Denn manchmal musste ich unmittelbar nach der
Wiedereröffnung in das Restaurant stürmen. Meine Pause war
schon fast vorbei, oder ich musste bald zur Arbeit und musste
deshalb mein Essen schnell runterwürgen, damit ich noch
rechtzeitig kam. Gesund war das nicht.
Mein
Schlüsselmoment mit dem Gebet kam jedoch erst, als ich erfuhr,
es war weniger ein Gebet im christlichen Sinne als vielmehr ein
immergleiches Pumpen mit den immergleichen Formeln auf den Lippen.
Das muss ich wohl
erklären. Die Christen haben ja auch formelhafte Gebete, wie
das „Vater unser“ und das „Ave Maria“, aber,
soweit ich das verstanden habe, sprechen doch viele auch ihre
eigenen, individuellen Gebete, so nach dem Muster „Lieber
Herrgott, gib mir bitte das und das zu Weihnachten; oder: Mach, dass
es bald wieder wärmer wird, überleg doch mal, wie lang
jetzt die Blumen schon frieren; und: Mach, dass der Helmut mal ein
bisschen weniger verdient, zwar hat er ein gutes Diplom gemacht, ich
weiß schon, aber trotzdem, der verdient fast doppelt so viel
wie ich, und das ist doch schwierig für mich, das muss man doch
auch sehen.“
Auf den ersten
Blick erscheint das nur unwesentlich weniger vernünftig als das
islamische Gebet. Aber es ist doch ein Unterschied, ob du glaubst,
dass der Weltenlenker dein individuelles Gejammer hört oder ob
du ihn dadurch zu beschwichtigen versuchst, dass du fünfmal am
Tag dieselben Formeln runterleierst und dazu dieselben Bewegungen
machst.
Vor allem sah ich
Parallelen zwischen dem islamischem Gebet und Verhaltensweisen, die
ich von woanders gut kannte: aus der Psychiatrie. Diese Parallelen
konnte ich einfach nicht übersehen.
Deshalb frage ich
irgendwann meine Studenten nach dem Gebet. Wie ich es nicht anders
erwartete, sagten sie mir, sie
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