Im Koenigreich der Traeume
die Schotten von allen Seiten auf Royce stürzten. In den folgenden Minuten wurde Jenny Zeuge der atemberaubendsten Fechtkunst, die sie je gesehen hatte: Royce kämpfte wie ein Besessener, seine reflexartigen Bewegungen waren so schnell, sein Schwung so kraftvoll, daß er sechs gegnerische Ritter zu Boden schickte, bevor sie ihn schließlich doch übermannten und aus dem Sattel warfen. Und dennoch war der Alptraum noch nicht zu Ende. Unbewußt sprang Jenny wie alle anderen Zuschauer auf, um in dem Gewirr von Rüstungen, Waffen und Pferden Genaueres erkennen zu können. In ihren Ohren dröhnte das Klirren von Metall, das Schlagen der Schwerter. Royces Ritter merkten, was der Gegner vorhatte und hackten wild auf die Angreifer ein, um zu Royce durchzukommen, und plötzlich schien sich das Schlachtgetümmel nur noch auf einen Punkt zu konzentrieren. Royce tauchte immer wieder aus dem Knäuel von kämpfenden Männern auf und schwang wie ein wütender Racheengel sein Breitschwert über den Kopf und setzte es mit aller Kraft ein -gegen Jennys Vater.
Jenny sank auf ihren Sitz, schlug schreiend die Hände vors Gesicht und konnte deshalb die geschmeidige Bewegung aus dem Handgelenk nicht verfolgen, durch die Royce den Angriff statt auf ihren Vater auf einen Highländer lenkte. Sie sah auch nicht das Blut, das aus einer klaffenden Wunde an Royces Hals lief, die ihr Bruder ihm mit einem heimlich in die Schlacht geschmuggelten Dolch beigebracht hatte - zielsicher hatte sich Malcolm die empfindliche Stelle zwischen Helm und Brustplatte für seinen feigen Anschlag ausgesucht. Genausowenig bekam sie mit, daß ihre Verwandten Royces leichte Rüstung am Oberschenkel aufgeschlitzt hatten und zu mehreren auf seinen Rücken, die Schultern und den Kopf einschlugen.
Als sie die Hände vom Gesicht nahm, entdeckte sie, daß ihr Vater noch fest auf seinen Füßen stand, Royce wie ein wildgewordener Berserker gegen MacPherson und zwei andere Schotten kämpfte und daß die Männer, die einen Hieb von seinem Schwert abbekamen, umfielen wie die Lämmchen auf der Schlachtbank.
Jenny sprang auf die Füße und wäre beinahe über Brenna gefallen, die mit fest zusammengekniffenen Augen neben ihr kauerte.
»Jenny!« kreischte Tante Elinor. »Tu das nicht!«
Aber Jenny achtete nicht auf den Protest. Bittere Galle stieg in ihrer Kehle auf. Halb blind vor Tränen rannte sie zu ihrem Pferd und riß dem erschrockenen Stallknecht die Zügel aus der Hand ...
»Seht, Mylady«, rief er aufgeregt, als er ihr in den Sattel half, dann deutete er auf Royce. »Habt Ihr je in Eurem Leben so etwas gesehen?«
Jenny folgte seinem Blick und sah, daß Royces Breitschwert an der Schulter eines Schotten zerbrach. Der Boden war mit Blut durchtränkt, als sich ihr Vater, ihr Bruder, Beckys Vater und ein Dutzend anderer Schotten erhoben und auf Royce zugingen.
Sie erkannte die tödliche Bedrohung.
Das Bild des Grauens hatte sie noch lebhaft vor Augen, als sie am offenen Fenster ihres Zimmers stand, ihr kreidebleiches Gesicht an den Rahmen preßte und die Arme fest um sich schlang. Eine Stunde war vergangen, seit sie vom Turnierplatz geflohen war. Inzwischen hatten die Trompetensignale längst das Ende des Mannschaftsturniers verkündet, und die Spiele Mann gegen Mann waren in vollem Gang. Royce hatte elf Herausforderungen angenommen und bereits zwei vor dem großen Kampf hinter sich gebracht. Laut Ankündigungen der Herolde sollten zuerst die Kämpfe der erfahrensten Ritter stattfinden, und Jenny hegte keinen Zweifel, daß Royces Kämpfe gleich nach dem großen Gemetzel angesetzt waren. König Heinrich muß außerordentlich stolz sein, dachte sie trübsinnig, wenn er aller Welt beweisen konnte, daß sein berühmter Kämpfe selbst nach einem kräftezehrenden, erbitterten Kampf noch jeden Schotten schlug, der dumm genug gewesen war, ihn herauszufordern.
Sie hatte fünf Trompetensignale, die den Anfang einer neuen Begegnung verkündeten, gezählt und die höhnischen Schreie der Zuschauer gehört, wenn ein Verlierer das Feld verließ. Nach vier weiteren Kämpfen hatte Royce seine Pflicht getan, und dann würde ihr sicherlich jemand Bericht erstatten, wie viele ihrer Landsleute er zum Krüppel gemacht oder getötet hatte, dachte sie bitter und wischte sich eine Träne von der Wange. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, daß Royce etwas passiert sein könnte. Er war unverletzlich, das hatte sie zu Beginn des Turniers selbst gesehen. Und - Gott möge ihr vergeben - sie war
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