Im Koenigreich der Traeume
daß Royce auf das Feld ritt, denn die Menschenmenge war plötzlich mucksmäuschenstill. Die Ruhe war so unheimlich, daß die Trompetenstöße wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts die knisternde Luft zerrissen. Jenny konnte nicht anders - sie wandte sich in die Richtung, aus der Royce kommen mußte, und ihr blieb das Herz stehen. Ganz im Gegensatz zu der bunten Fröhlichkeit und dem grellen Pomp, mit dem sich die anderen Turnierteilnehmer herausgeputzt hatten, erschien der Duke of Claymore ganz in Schwarz. Sogar die Satteldecke und der Kopfschmuck des Hengstes waren schwarz, und Royces Schild trug kein richtiges Wappen, sondern nur den Kopf eines zähnefletschenden Wolfs.
Selbst auf Jenny, die ihn auch anders kannte, wirkte er furchterregend, als er über das Feld trabte. Er suchte die Galerie, auf der seine Landsleute saßen, mit Blicken ab, und Jenny spürte, daß er einen Augenblick stockte, als er die Frau sah, die in der vordersten Reihe auf dem Stuhl saß, der eigentlich für seine Gemahlin bereitgestellt worden war. Doch statt darauf zuzureiten oder den Hunderten von Frauen Beachtung zu schenken, die ihm heftig mit ihren Tüchern und Bändern zuwinkten, zwang er Zeus in die entgegengesetzte Richtung.
Jennifers Herz hämmerte wie wild gegen ihre Rippen, als ihr klar wurde, daß er direkt auf sie zukam. Die Zuschauer begriffen auch, was er vorhatte, und hielten den Atem an. Unter den lautstarken Flüchen der Merrick-Männer blieb Royce vor Jenny stehen und tat etwas Ungeheuerliches, was sie noch nie zuvor bei einem Turnier erlebt hatte. Da er wußte, daß sie ihm ein Zeichen ihrer Gunst verweigern würde, sah er sie nur an, während Zeus nervös mit den Hufen scharrte, und berührte mit der Lanzenspitze den Boden vor ihrem Platz.
Es ist eine Ehrenbezeugung, schrie Jennys Herz auf. Er salutierte vor ihr, und bereitete Jenny damit einen schmerzlichen, grauenvollen Moment, der alles, sogar Williams Tod, übertraf. Sie erhob sich halb von ihrem Stuhl, ohne recht zu wissen, wie sie auf diese ehrerbietige Geste reagieren sollte, aber schon war alles vorüber. Royce riß Zeus herum und sprengte an dem Franzosen vorbei, der seinen Helm richtete und den Arm ausstreckte, als müßte er das Gewicht seiner Lanze überprüfen.
Royce wendete sein Pferd, um seinen Gegner über die Distanz hinweg anzusehen, klappte sein Visier herunter und senkte die Lanze ... dann regte sich kein Muskel mehr an ihm. Gezügelte Kraft, Kälte und Gefühllosigkeit gingen von ihm aus, und er wartete nur auf das Signal, um loszuschlagen ...
Beim ersten Trompetenstoß beugte sich Royce über den Hals des Pferdes und gab ihm die Sporen. Er jagte Zeus in gerader Linie auf seinen Kontrahenten zu. Seine Lanze traf mit solcher Wucht ins anvisierte Ziel, daß der Schild des Franzosen durch die Luft flog und der Ritter nach hinten aus dem Sattel kippte. Als er auf dem Boden aufkam, stand sein Bein in einem Winkel ab, der deutlich machte, daß es gebrochen war. Nach diesem einzigen Angriff galoppierte Royce auf die andere Seite des Platzes und wartete, dem Eingang zugewandt, auf seinen nächsten Gegner.
Jenny hatte Ian MacPherson schon einmal bei einem Turnier beobachtet, und sie hielt ihn für brillant. Er kam mit raumgreifendem Trab in den Farben seines Clans, dunkelgrün und gold, auf den Platz und wirkte ebenso tödlich und entschlossen wie Royce.
Royce ließ Ian MacPherson nicht aus den Augen, und Jenny, die ihren Mann verstohlen aus den Augenwinkeln beobachtete, schloß aus der Art, wie er ihn musterte, daß er die Stärke des zukünftigen Chieftains des MacPherson-Clans keineswegs unterschätzte. Sie war so in die Betrachtung des kampfbereiten Wolfs vertieft, daß sie nicht einmal merkte, wie Ian MacPherson sein Schlachtroß vor der Tribüne zügelte und die Lanze in ihre Richtung neigte ...
»Jenny!« Beckys Vater legte die Hand auf ihre Schulter und machte sie auf Ian aufmerksam. Jenny schaute auf und stöhnte gequält. Für einen Augenblick war sie wie gelähmt und konnte nicht fassen, was vor sich ging, aber Tante Elinor zwitscherte aufgeregt: »Ian MacPherson!« Und während sie ihren Schleier abriß, sich leicht zur Seite neigte und das grellgelbe Stückchen Stoff an seiner Lanzenspitze befestigte, rief sie erfreut: »Ihr seid der galanteste Mann, der mir je begegnet ist.« Der Ritter funkelte die alte Dame finster an und machte kehrt.
Als Ian seinen Platz gegenüber von Royce einnahm, fiel Jenny eine kaum merkliche Veränderung in
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