Im Koenigreich der Traeume
achselzuckend die Einschätzung seiner Freunde und ging hinauf in sein Schlafzimmer.
Kapitel neun
Am nächsten Morgen stand Jennifer in einem weichen, cremefarbenen Nachthemd an dem winzigen Fenster in ihrem Zimmer und ließ den Blick über die bewaldeten Hügel hinter den Festungsmauern schweifen. Dann betrachtete sie eingehend den Innenhof und die dicken Wände, die ihn umgaben. Sie suchte nach einem Fluchtweg, nach Anzeichen einer verborgenen Tür. Es mußte eine geben - in Merrick war eine in die Mauer eingelassen. Sie wurde von einem dichten Busch verdeckt, und soweit Jenny wußte, gab es in jeder Burg einen solchen Geheimausgang, durch den die Bewohner entkommen konnten, wenn der Feind die äußeren Verteidigungsanlagen durchbrochen hatte. Aber obwohl sie wußte, daß diese Tür in die Freiheit existieren mußte, konnte sie nichts davon erkennen, sie sah nicht einmal einen Riß in der drei Meter dicken Mauer, durch den Brenna und sie sich hätten zwängen können. Sie beobachtete die Wachen, die auf der Burgmauer auf und ab gingen und die Straße und die umliegenden Hügel im Auge behielten. Die Dienstboten im Haus mochten schlampig und nachlässig sein und dringend einer strengen Aufsicht bedürfen, aber für eine lückenlose Bewachung der Festung hatte der Earl gesorgt, dachte Jenny düster. Jeder der Wachmänner war auf der Hut, und sie hatten sich im Abstand von etwa fünf, sechs Metern postiert.
Der Earl hatte ihr erzählt, ihr Vater sei davon in Kenntnis gesetzt worden, daß sie und Brenna Gefangene des Schwarzen Wolfs waren. In diesem Fall würde ihr Vater keine Schwierigkeiten haben, die Spur einer fünftausend Mann starken Armee bis nach Hardin zu verfolgen. Von Merrick aus war es nicht weit bis Hardin, etwa zwei Tage zu Pferde und fünf Tage zu Fuß würde er brauchen, falls er sie aus den Klauen des Feindes erretten wollte. Aber wie, um alles in der Welt, sie jemand aus dieser gut befestigten Burg befreien sollte, konnte sich Jenny beim besten Willen nicht vorstellen. Das führte sie wieder zu dem grundlegenden Problem zurück, das sie schon die ganze Zeit beschäftigte: Sie mußte allein einen Fluchtweg finden.
Ihr Magen knurrte und erinnerte sie daran, daß sie seit gestern nachmittag nichts mehr gegessen hatte. Sie wandte sich vom Fenster ab, um sich anzuziehen und anschließend in die Halle zu gehen. Der Hungertod war keine Lösung für ihr Problem, entschied sie mit einem Seufzen, als sie zu den Kleidertruhen ging, die an diesem Morgen in ihr Zimmer gebracht worden waren. Außerdem konnte sie sicher sein, daß Royce die Tür aufbrechen und sie an den Haaren hinunterzerren würde, ließe sie sich heute wieder nicht in der Halle blicken.
Vorhin hatte sie ein schönes warmes Bad in dem Holzzuber genommen, und wenigstens fühlte sie sich jetzt von Kopf bis Fuß sauber. In einem kalten Fluß unterzutauchen, überlegte sie und dachte an die letzten Wochen zurück, war mit einer Wanne mit warmem Wasser und einem Stück duftender Seife nicht zu vergleichen.
Die erste Truhe war voll mit Kleidern, die der früheren Burgherrin und ihren Töchtern gehört hatten. Die Roben erinnerten Jenny an den hübschen, aber drolligen Stil, den ihre Tante Elinor bevorzugte - Kleider, zu denen ein hoher, spitzer Kopfschmuck und Schleier, die bis zum Boden reichten, gehörten. Obwohl die Sachen aus der Mode waren, hatte man an den Stoffen nicht gespart - vor Jenny lagen die teuersten Satin- und Samtgewänder mit Stickereien und Spitzenbesätzen. Da alle viel zu üppig für den Vormittag und ihre Stellung in diesem Haushalt waren, öffnete Jenny die zweite Truhe, um nachzusehen, ob sie dort etwas Schlichteres finden konnte. Ein leiser Freudenschrei drang über ihre Lippen, als sie ein weiches Kaschmirkleid zu Tage förderte.
Sie hatte gerade ihr Haar fertig frisiert, als eine Magd an ihre Tür klopfte und mit schriller, ängstlicher Stimme rief: »Mylady, Seine Lordschaft hat mich gebeten, Euch zu sagen, daß er heraufkommen und Euch höchstpersönlich hinunterbringen würde, wenn Ihr nicht in fünf Minuten zum Frühstück in der Halle erscheint.«
In dem Bestreben, den Earl wissen zu lassen, daß sie bei dieser Drohung nicht vor Furcht erstarrte, rief Jenny zurück: »Richte Seiner Lordschaft aus, daß ich ohnehin beabsichtigt habe, hinunterzugehen und in ein paar Minuten da sein werde.«
Jenny wartete so lange, bis »ein paar« Minuten verstrichen waren, dann verließ sie ihr Schlafzimmer. Die Treppe, die von
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