Im Kreis des Wolfs
organisiert, damit die Leute ihren Gefühlen über die Pläne des Bundes zur Wiederansiedlung von Wölfen Ausdruck verleihen konnten. Manchmal war es dabei recht stürmisch zugegangen, doch die Veranstaltung in Hope brach alle Rekorde.
Eine Gruppe junger, mit Gewehren bewaffneter Farmarbeiter und Holzfäller hatte draußen gestanden und sie unablässig beschimpft. Die Leute im Saal, in dem Waffen verboten waren, wirkten nicht minder furchteinflößend. Dans Vorgänger, einem hervorragenden Diplomaten, war es zwar gelungen, die Meute im Zaum zu halten, doch hinterher stießen ihn zwei Holzfäller gegen eine Wand und bedrohten ihn. Er kam um mehrere Schattierungen blasser aus dem Saal, als er hineingegangen war, nur um dann festzustellen,dass man ihm einen Eimer roter Farbe über sein Auto gekippt hatte.
In der Ferne konnte Dan die Umrisse der Stadt erkennen.
Es war eine dieser Städte, durch die man fuhr, ohne sie richtig wahrzunehmen. Eine gerade Straße, einige hundert Meter lang, und ein paar Seitenstraßen, die fischgrätenähnlich davon abzweigten. Am einen Ende stand ein heruntergekommenes Motel, am anderen eine Schule, und dazwischen gab es eine Tankstelle, einen Lebensmittelladen, ein Eisenwarengeschäft, einen Imbiss, einen Waschsalon und einen Tierpräparator.
Viele der etwa fünfhundert Einwohner lebten verstreut im Tal, und für ihre diversen Seelennöte gab es zwei Kirchen und zwei Kneipen. Außerdem existierten zwei Andenkenläden, die eher von einem gewissen Optimismus als von gesundem Geschäftssinn zeugten, denn obwohl sich im Sommer gelegentlich Touristen nach Hope verirrten, entschieden sich nur wenige dafür, länger zu bleiben.
In dem Versuch, etwas daran zu ändern, und um dem Wunsch einer bescheidenen, doch wachsenden Anzahl von Nebenverdienstlern Genüge zu tun, hatte einer dieser Läden (der bei weitem beste) letztes Jahr eine Cappuccino-Bar eröffnet. Der Laden nannte sich Paragon, und so selten Dan bisher auch durch diesen Ort gefahren war, hatte er doch stets daran gedacht, diese Bar aufzusuchen, nicht so sehr wegen des Kaffees, der übrigens sehr gut war, sondern vor allem wegen der Besitzerin.
Sie war eine attraktive New Yorkerin namens Ruth Michaels, und von ihren zwei oder drei Begegnungen wusste er, dass sie in Manhattan eine Kunstgalerie geführt und nach ihrer Scheidung Urlaub in Montana gemacht hatte. Hope gefiel ihr, und sie war geblieben. Dan konnte sich durchaus vorstellen, noch weit mehr über sie erfahren zu wollen.
Der Cappuccino hatte sich nicht besonders durchgesetzt bei den Einheimischen, die ihren Kaffee lieber schwach und aufgebrüht tranken, wie er auf der anderen Straßenseite in Nelly’s Diner serviert wurde. Als Dan daher im Vorbeifahren entdeckte, dass Ruth das Schild »Zu verkaufen« ins Fenster gehängt hatte, war er zwar traurig, aber nicht sonderlich überrascht.
Er sah Bill Rimmers Lieferwagen am verabredeten Treffpunkt, einer trostlosen Bar, die den passenden Namen The Last Resort trug. Rimmer kam heraus, um ihn zu begrüßen. Er war ein waschechter Montanamann und sah mit seinem Stetson und dem herabhängenden blonden Schnurrbart auch genauso aus. Mit seinen eins achtundneunzig kam sich Dan neben ihm wie ein Zwerg vor. Außerdem war er einige Jahre jünger als Dan und sah auch besser aus – wenn er so darüber nachdachte, konnte Dan eigentlich überhaupt keinen Grund dafür nennen, warum er diesen Kerl so mochte.
Er stieg aus dem Auto, und Rimmer klopfte ihm auf die Schulter.
»Na, junger Spund, wie geht’s dir denn so?«
»Ach, weißt du, Bill, ehrlich gesagt hatte ich heute Abend eigentlich was Besseres vor.«
»Mir kommen die Tränen, Dan Prior. Wollen wir los?«
»Warum nicht? Alle anderen sind ja offenbar schon da. Hast du die Nachrichten gehört?«
»Klar. Und während ich hier gewartet habe, ist gerade ein Fernsehteam vorbeigefahren.«
»Na, wunderbar.«
»Dieser alte Wolf hat sich für sein Debüt wirklich einen passenden Ort ausgesucht.«
»Wir wissen doch nicht einmal, ob es überhaupt ein Wolf gewesen ist.«
Sie stiegen in Rimmers Pick-up und fuhren die Main Street hinunter. Es war beinahe halb acht, und Dan fragte sich besorgt, ob noch genügend Licht sein würde, denn es war immer einfacher, den Ort des Geschehens bei Tageslicht nach Spuren zu untersuchen. Weit größere Sorgen bereitete ihm allerdings der Gedanke an die vielen Menschen, die sich mittlerweile am Schauplatz dieses sogenannten »Angriffs« herumtrieben. Wenn es
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