Im Labyrinth der Abwehr
geschäftig daran, die Verwundeten auszufragen. Dann fragte er Elfriede. Sie sagte, daß Wander bereits am Vortag entlassen sei. Doch in der Nacht hätte man ihn mit einem Wagen von der Gestapo geholt, nicht, um ihn zu verhaften, ein Gestapooffizier hätte Wander mit Handschlag begrüßt und ihn umarmt. Dasselbe bestätigte der Gefreite Weiß, da er wußte, daß Subow diese Version Elfriede empfohlen hatte.
22
Ins Lazarett wurden Panzersoldaten mit Verbrennungen dritten Grades eingeliefert.
Johann hatte mehrfach gehört, wie Steinglitz Erwägungen über die Vorzüge der Panzerwaffe anstellte. Der Major hatte zu Dietrich gesagt, daß die Sowjetunion bereits Mitte der dreißiger Jahre einen verhängnisvollen Fehler begangen habe, als sie das mächtige Panzerkorps aufgelöst und durch kleinere Panzerbrigaden ersetzt hatte. Steinglitz hatte auch behauptet, daß es der Sowjetarmee nicht nur an Panzerabwehrgeschützen, sondern auch an Panzerbüchsen fehle. Und auch, daß nach der sowjetischen Felddienstordnung der Kornmandant stets vorangehen und seine Einheit in den Kampf führen mußte, stellte einen unschätzbaren Vorteil für den Gegner dar: Er konnte ihn wie auf einem Schießplatz abschießen. Steinglitz hatte auch davon gesprochen, daß die sowjetische Armee ungenügend mit Funkgeräten ausgerüstet war und mehr über Fernsprechleitungen verfügte. So würde es den deutschen Diversionstruppen nicht schwerfallen, die Verbindungen zu stören und die sowjetischen Stäbe dadurch der Möglichkeit berauben, ihre Truppen zu lenken.
Über all das hatte Johann das Zentrum informiert.
In den ersten Kriegstagen waren die sowjetischen Infanteristen vor den deutschen Panzern davongelaufen, jetzt liefen sie auf sie zu. Und eine solche Taktik des Feindes war nicht nur unerwartet, sie war auch unverständlich.
Als Johann solche Erwägungen hörte, versuchte er das Gespräch darauf zu bringen, warum Deutschland in anderthalb Monaten die Armeen Hollands, Belgiens, Frankreichs zerschlagen hätte, doch hier, in einem rückständigen Land, auf solchen Widerstand treffe.
„Vielleicht", meinte er, „kommt das daher, daß es dort in Europa gute Straßen gibt, hier in Rußland schlechte."
Die Soldaten antworteten darauf mit einem verächtlichen Schweigen. Nur ein Soldat, der ganz verbrannt war und von oben bis unten wie eine Mumie gewickelt war, fragte dumpf:
„Würdest du dich mit einer Mine unter einen sowjetischen Panzer legen?"
„Wenn der Führer es mir persönlich befiehlt?"
„Quatsch. Gib doch nicht an! Sie werfen sich ohne Befehl unter den Panzer, ganz von selbst."
„Vielleicht aus Verzweiflung", sagte Weiß.
„Aus Verzweiflung wirft man sich nicht unter einen Panzer, sondern ergreift die Flucht. Sie schlagen sich, als ob dieser Boden ihr eigener Körper wäre."
Johann hätte gern das Gesicht dieses Soldaten gesehen. Wer war er? Aber selbst wenn man den Verband abnehmen würde, so könnte man es nicht sehen: Es war verbrannt.
Johann kam nicht einmal dazu, sich mit ihm zu unterhalten. Einer der Verwundeten hatte den Soldaten denunziert, und Fischer hatte ihn in den Gebäudeflügel mit den vergitterten Fenstern gebracht.
Oberschwester Elfriede lud einige Male Weiß zu sich ein: Schließlich war Johann der Freund Wanders. Weiß erkundigte sich vorsichtig, wie sich Fischer nach dem Verschwinden von Wander verhalte. Sie erwiderte unbekümmert:
„So wie immer." Und sagte, ihn nachahmend: „Na, Kleine, wollen wir die Staatsgrenzen des Anstandes überschreiten?"
„Ist Fischer dein Geliebter?"
„Ach, wo denkst du hin! Ich erweise ihm nur mal diese oder jene Freundlichkeit. Und im übrigen", sie senkte die Stimme, „könnte er mir einen Haufen Unannehmlichkeiten machen."
„Auf welche Weise?"
Elfriede tat so, als hätte sie die Frage nicht gehört und brachte das Gespräch auf ein anderes Thema.
„Irgendwann einmal werde ich heiraten, und wenn mein Mann kein Nationalsozialist ist, so ist er einfach nicht die Opfer wert, die ich hier bringe."
„Und Alois?"
„Ach, das ist etwas ganz anderes. Er war viel zu anständig zu mir. Und im übrigen glaube ich nicht, daß ich ihn wiedersehe."
Sie begann zu weinen.
„Er hätte mich ruhig heiraten können. Ich bin aus einer anständigen Familie. Mein Vater ist Dorfpfarrer. Er hat gebeten und gebettelt, daß ich nicht in den BDM eintrete, aber ich bin doch eingetreten. Und sofort ist unser HJ-Führer zudringlich geworden. Er hat gedroht, Vater wegen seiner
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