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Im Labyrinth der Abwehr

Im Labyrinth der Abwehr

Titel: Im Labyrinth der Abwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wadim Koshewnikow
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heute all das zerstört, was du erst vor der Abreise zerstören solltest."
    „Vielleicht hast du recht", pflichtete Heinrich kleinlaut bei.
    Den ganzen Weg lang schwiegen sie. Erst in der Nähe seines Hauses fragte Heinrich:
    „Und du, Johann, zerstörst du nichts?"
    Johann zögerte mit der Antwort, dann sagte er vorsichtig:
    „Weißt du, mir scheint, ich sollte eher dem Heinrich nacheifern, der du geworden bist, als dem, den ich von früher kenne. Aber ich werde es nicht tun."
    „Und warum nicht?"
    „Ich fürchte, daß ich dann einen Freund verliere."
    „Du bist ein guter Kerl, Johann. Ich bin froh, daß ich in dir einen so aufrichtigen Menschen gefunden habe."
4
    Der Morgen war trocken und klar.
    Die Parks, Grünanlagen, Boulevards und Straßen von Riga erstrahlten im hellen Licht der Frühsonne. Deutlich zeichneten sich die Silhouetten der Häuser am Himmel ab.
    Auf dem Bahnsteig stand eine Gruppe deutscher Rücksiedler. Auf allen Gesichtern war der gleiche Ausdruck von Besorgnis, Gehorsam und Bereitwilligkeit zu finden.
    Der Zug fuhr ein. In den Türen der Eisenbahnwagen erschienen die Schaffner. Doch keiner der Rücksiedler konnte sich entschließen, in einen der drei für sie bestimmten Wagen zu steigen. Alle warteten auf irgendeinen Befehl, aber woher der Befehl kommen sollte, wußte niemand. Einzig der dünne Sekundenzeiger der Bahnhofsuhr vollführte in dieser allgemeinen Reglosigkeit kleine krampfhafte Schrittchen auf dem Zifferblatt.
    Erst als ein vorübergehender Eisenbahnarbeiter verwundert fragte: „Worauf warten Sie noch? In fünfzehn Minuten fährt der Zug!" — stürzten alle, wie auf ein Kommando, dichtgedrängt in die Wagen.
    Die allgemeine Erregung legte sich, auf den Gesichtern erschien wieder der Ausdruck unterwürfiger Bereitwilligkeit.
    Als der Zug anfuhr, begann bei den Rücksiedlern das gewöhnliche Reisefieber, das sich in nichts von dem der übrigen Passagiere dieses Fernzuges unterschied.
    Merkwürdig war nur, daß sie sich von niemandem verabschiedet hatten. Vor diesen drei Wagen hatte es nicht das übliche Bahnhofsdurcheinander von Rufen, Wünschen, Umarmungen gegeben. Und bei der Abfahrt hatten sich die Passagiere nicht aus dem Fenster gebeugt, nicht mit Tüchern gewinkt, nicht Kußhände in die Luft geworfen. Diese Reisenden verließen Lettland auf immer. Für viele von ihnen war es die Heimat gewesen, und mehr als eine Generation hatte hier gelebt; jeder hatte hier seinen Platz, seine Stellung gefunden, die Zuversicht auf eine sichere Zukunft. In Lettland waren sie jener Not entgangen, unter der das deutsche Volk nach dem ersten Weltkrieg litt. Mit der Heimat verband sie nur noch eine rein gefühlsmäßige Liebe und die Verehrung für deutsche Traditionen. Sie waren froh gewesen, daß ihr Schicksal nicht von den politischen Stürmen abhing, die in Deutschland tobten.
    Lange Zeit war der Deutsch-Baltische Volksbund für sie eine kulturelle Einrichtung gewesen, in der sie ihre Befriedigung fanden, in der sie allem, was ihrer Vorstellung nach echt deutsch war, Tribut zollten. Doch in letzter Zeit hatte sich der Geist Hitlerdeutschlands auch in dieser Gemeinschaft eingebürgert. Ihre Funktionäre wurden zu Führern, die ihre diktatorische Macht mit nicht weniger Grausamkeit und Hinterlist als ihre Verwandten in Deutschland ausübten.
    Mit wenigen Ausnahmen gab die Mehrheit der lettischen Deutschen politisch und geistig dem Druck ihrer Führer nach. Bereitwillig waren sie bemüht, ihre Ergebenheit dem Dritten Reich gegenüber auszudrücken.
    Heuchelei, Furcht und sklavische Unterwerfung waren den Mitgliedern des Volksbundes in Fleisch und Blut übergegangen, und hervor kam all das Niederträchtige, Verborgene, was man längst für abgeschafft hielt.
    Johann Weiß stand auf dem Bahnsteig, hatte die sackleinene Reisetasche auf den Boden gestellt und wartete, bis das Gedränge nachgelassen hatte.
    Unerwartet trat der Zellenleiter Papke an ihn heran und stellte seinen Vulkanfiberkoffer neben seine Reisetasche, einen zweiten, einen Lederkoffer, behielt er in der Hand.
    Ohne Weiß zu begrüßen, schaute Papke aufmerksam dem Einsteigen zu. Auf einmal ergriff er die Reisetasche von Weiß und strebte damit der ersten Klasse zu.
    Johann, der glaubte, daß Papke nur aus Versehen nach seiner Reisetasche gegriffen hatte, folgte ihm mit seinem Koffer nach. Doch Papke schrie ihn heftig an:
    „Was soll ich mit Ihrem Koffer, suchen Sie sich doch einen Gepäckträger dafür!"
    Johann ging zu seinem

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