Im Labyrinth der Fugge
umzugehen, wenn sie über ihre Pflanzen sprach. Ihr gefiel es, dass in ihrem Garten neben Gemüse und Kräutern auch Platz für Duftblumen wie Akelei, Rosen und Schwertlilien war. Umso mehr wunderte sie sich nun, dass Ochata in ihrem Beet herumgetrampelt war, die Pastinaken herausgerissen und ein Grab ausgehoben hatte. Schwester Klara, die Lektorin und Schwester Magdalena, die Schafferin waren ihr all die Jahre nur wenig vertraut geworden. Die Schafferin verwaltete die Pfründe und den Wirtschaftstrakt und Schwester Klara erging sich in der Kirchenausschmückung und den Messgewändern.
Blieb noch die Priorin, sollte sie zu ihr gehen? Wenn sie bereits angetrunken war, würde Anna nicht wissen, ob sie mit ihrer Geschichte überhaupt zu ihr durchdrang. Susannas Gedächtnis hatte stark nachgelassen.
Anna ließ sich erst mal nichts anmerken und nahm wie üblich an den Stundengebeten und Mahlzeiten im Refektorium teil. Zur Vesper traf Pater Canisius ein. Er setzte sich zu ihr, erzählte von seinen Reisen und welchen Anklang die Manuskriptseiten gefunden hatten, die er dem Erzherzog Ferdinand von Tirol mitgebracht hatte. Anna hatte kein Ohr dafür. Sonst saugte sie all seine Worte auf, rief sie sich später beim Malen ins Gedächtnis, wenn sie an einer Arbeit zweifelte. »Pater, darf ich Euch um eine Unterredung bitten«, unterbrach sie ihn. »Im Kreuzhof nach dem Essen?«,
»Zu gern, Schwester Anna. Ich habe auch einiges mit dir zu besprechen.« Er duzte sie, daran hatte Profess und Subpriorinnenamt nichts geändert.
»Was bedrückt dich«, fing Canisius an. Sie schlenderten unter den Kreuzgewölben an der Felicitas-Fuggerischen-Grabtafel vorbei.
»Ich habe gestern Nacht im Klostergarten etwas Seltsames beobachtet«, sagte Anna. »Zwei Schwestern haben ein Kind vergraben.«
»Ein Kind?«, Canisius hob die Augenbrauen und musterte sie.
Ihre Wangen glühten. Sie senkte den Blick. Auch das störte sie am Schleier, die wenige Haut im Gesicht offenbarte dem Betrachter jede Regung. »Wenn Ihr wollt, zeige ich Euch die Stelle, kommt.« Durch das Verbindungstürchen zum Garten ging sie voran. Canisius folgte ihr.
Wenn es nicht mehr da ist, dachte sie, und nur ein Trugbild war? Die Abendsonne berührte bereits die Klausurmauer und tauchte alles in ein warmes Licht. Bienen summten auf den Blüten. Mücken tanzten wie Staubwolken in der Luft. Alles sah friedlich aus. Friedlich wie ein Friedhof. Da war die schwarze Stelle, die herausgerissenen Pflanzen und die mit vielen Fußabdrücken festgetrampelte Erde.
»Du hast recht, hier wurde etwas verscharrt. Und du kennst die Namen der Schwestern?«
Anna nickte.
Canisius wollte wieder gehen. »Ich werde die Priorin verständigen und dann lass uns im Kapitelsaal die Betreffenden befragen.«
»Aber, Pater, ich dachte …, ich wollte kein großes Aufsehen, wer weiß, was dahintersteckt. Soll ich nicht einfach mal graben?« Anna schauderte zwar bei der Vorstellung, aber sie würde sich überwinden.
»Und dann? Angenommen du findest, was du vermutest. Wer wird dir noch glauben, dass du es nicht selbst warst.«
Anna stutzte. »Ich?«
»Du bist doch immer noch Jungfrau?« Er stülpte die Oberlippe über die verbliebenen Zahnstümpfe.
»Pater …, ich …« Sie stotterte und ärgerte sich zugleich über sich selbst. Wie ein kleines Mädchen ließ sie sich von ihm einschüchtern. Was war sie einfältig gewesen, gerade ihn ins Vertrauen zu ziehen! Du Fratzengesicht, dachte sie. Biankas Wandzeichnung im Karzer fiel ihr ein. Bianka! Warum hatte sie sich nicht an ihre Freundin gewandt? Wo war sie eigentlich, sie war oft von den Horen befreit, weil sie Kranke in der Stadt versorgen musste, aber seit gestern morgen hatte Anna sie nicht mehr gesehen. Bianka schlief im Laiendormitorium seit Annas Profess, war sie krank? Oder gab es einen Sterbenden, den sie begleitete? Wieder einmal hatte Anna nur ihre eigenen Sorgen im Kopf gehabt und ihre Nächsten vernachlässigt.
Canisius wollte den Arm um sie legen und sie auf dem Steinplattenweg zurück zum Kreuzhof führen. Sie wand sich aus seinem Griff. Obwohl sie sich an seinen Uringeruch mit den Jahren gewöhnt hatte und erst nachdem er gegangen war ans Fenster stürzte, um frische Luft zu schnappen, strömte seine Achsel heute einen besonders ekligen Geruch aus. Es roch, als ginge er dem Tod entgegen. So wie er beisammen war, würde es sicher dauern, wahrscheinlich starb sie vor ihm, somit hätte Oheim Christoph vom Fegefeuer aus noch
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