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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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verlassen und nach Kufstein hinaufzufahren. Es war Mitte September und womöglich schneite es dort oben schon? Wer weiß, ob sie in Innsbruck nicht absaufen würden. Er setzte sich vorsichtig auf seinen wunden Hintern. Gott sei es gedankt, die Bank war gepolstert und das Gehäuse der herzöglichen Karosse hing an Riemen zwischen den Achsen. Anders als der Kobelwagen, mit dem er zum Trienter Konzil gereist war, noch Wochen danach hatte er jeden Knochen gespürt. Auf dem Konzil war unter anderem der geschlossene Beichtstuhl eingeführt worden. Seitdem hörte Canisius von vielen heimlichen Liebschaften, aber vieles langweilte ihn auch.
     
    Ferdinand II. war von den mitgebrachten Codexseiten äußerst angetan. Mit dem Geld konnte Canisius das Jesuitenkolleg in Innsbruck erweitern und neue Schüler aufnehmen. Obwohl viele dem neumodischen Buchdruck zusprachen, gab es genügend Werke, die nur per Hand kopiert werden konnten. Keiner fragte ihn, wer die Arbeit ausführte. Canisius sagte stets, dass sie in einem von ihm eingerichteten Skriptorium in einem Augsburger Kloster entstanden und die Auftraggeber waren zufrieden. Mönch war Mönch, ein Arbeiter Gottes, kein eigenständiger Künstler. Vielleicht hätte es den einen oder anderen erstaunt, dass eine Nonne all dies fertigte, aber womöglich wäre er in den Ruf der Ketzerei gekommen. Ein Weib, das solche Bildkunst beherrschte, musste eine Hexe sein.
    »Bringt mir mehr«, hatte auch Erzherzog Ferdinand II. gesagt, wie alle, die er bisher beliefert hatte. Doch ein ganzes Werk zu kopieren, dazu reichte meist ein Leben nicht aus, geschweige denn, das eines Weibes. Außerdem sollte Anna Fuggerin demnächst ein ganzes Buch für ihn gestalten, seine eigene Lebensbeichte, so Gott will. Ein warmes Gefühl durchströmte ihn, er räkelte sich in den Polstern. Oder war es der Verdauungstrakt, der nun endlich in Gang kam? Aber er konnte mitten am Berg nicht verlangen, stehen zu bleiben. Hier sollte es Diebesbanden geben, die genau das berechneten. Nicht auszudenken! Nein, das Gefühl kam von weiter oben aus seiner Brust. Anna Fuggerin, er sah ihre Hände vor sich, nicht zu sehnig, nicht zu fett. Die Verknorpelung am rechten Mittelfinger vom vielen Zeichnen, daneben am Brautfinger sein Ring, den er früher öfter verteilte, aber Anna war die jüngste Seele gewesen, der er einen schenkte. Vielleicht war morgen gar kein schlechter Augenblick, um es ihr zu offenbaren. Wie sich alles über die Jahre fügte. Er tat, was Christoph Fugger verlangte, und wie durch ein Wunder überlebte eines der Fuggerkinder, ausgerechnet die Perle, wie für ihn bewahrt. Es war, als sollte er für sein Bemühen auch ein Geschenk erhalten. Heute predigte er, dass kein Mädchen zum Nonnenleben gezwungen werden sollte, die Zeiten verlangten danach. Wer weiß, wie lange es noch dauerte, und die Weiber trügen Beinkleider und heirateten, wen sie wollten.
    Zu Anfang gebärdete sich Anna Fuggerin äußerst widerspenstig; hätte man ihr ein Knappenkostüm gegeben, sie wäre davon galoppiert. Die Unruhe ihrer Jugend hatte sich längst gelegt. Als alte Jungfer drängte sich nichts mehr zwischen sie und ihn und die Kunst. Sie würde das Kloster nie mehr verlassen und wie einst Susanna, die selten nüchtern auf dem Priorinnenstuhl im Kapitelsaal von St. Katherina waltete, so dürstete Anna nach seiner Zuneigung. Manchmal schob sich in seinen Träumen Annas Antlitz vor das bleiche Bild seiner Mutter. Er begehrte die Buchmalerin, das musste er sich eingestehen, wenn auch nicht im leiblichen Sinne, wie er die Priorin lange Jahre von sich abhängig gemacht hatte. Anna war für ihn eine Muse, die ihn stärkte, ohne dass er sie nur einmal berührt hatte. Am Ende war sie doch eine Hexe, so sehr er auch bei den Exerzitien und Beichten in sie drang. Nachdem er seine Mutter in der Tollkiste vorgefunden hatte, hatte er ein Leben lang nach den Wurzeln des Irrsinns geforscht. Überall durchstöberte er die Bibliotheken. Annas Vater gab ihm ›Die große Wundarzney‹ von Paracelsus. Darin stand, dass die Gestirne, die Vorfahren, eingenommenes Gift, Geister oder Gott Krankheiten hervorriefen. Wenn man die Sterne am Himmel nicht verrücken konnte, das Erbe nicht abändern, aber auf seine Ernährung und Leibespflege achtete, so blieben nur noch der Teufel oder Gott, die den Weg zeigen konnten.
    Canisius wollte nicht von seiner Mutter besudelt sein, er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt von Unrat und Übel zu befreien. Rein und

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