Im Labyrinth der Fugge
klar sollte alles sein. Nach München, Innsbruck, Dillingen, Würzburg, Hall und Prag gründete er demnächst in der Schweiz ein Jesuitenkolleg. So würde er nicht nur die Kirche erneuern, sondern auch die Jugend ausbilden, seine Samen wie den des Löwenzahns weitertragen. Der Ruf des reisenden Apostels eilte ihm voraus. Er schmatzte bei der Vorstellung. Doch halt, die Notdurft schob sich schon heraus, er brauchte ein Behältnis. Schnell, das Birett mit der Quaste. Aber nur Reinheit würde seinen Leib verlassen, was machte das seiner Kopfbedeckung aus.
7. Der Erdfleck
Ein brennender Armstumpf. Anna fuhr aus dem Schlaf hoch. Nur ein Traum, beruhigte sie sich. Kalter Schweiß bedeckte ihren Leib. Seit sie Subpriorin war und eine winddichte Zelle für sich allein besaß, schlief sie nackt. Außerdem sorgte eine Klappe zum Abzug des Kachelofens für Wärme in diesem verregneten Sommer. So war sie wenigstens nachts keine Nonne. Sie trocknete sich mit dem Laken ab, schlüpfte in ihr Unterkleid und wollte sich etwas zu Trinken aus der Küche holen. Der Mond stand klar und hell am Himmel, als sie durchs Gangfenster schaute. Es musste kurz vor Mitternacht sein. Ein kaltes Gelb beleuchtete den Klostergarten und die breite Eiche. Mit dreizehn hatte sie in ihrem Elternhaus auch so am Fenster gestanden und in den Mondschein geschaut. Die Reihen mit Gemüse und Salat erinnerten sie an das Muster im Gartenlabyrinth an der Kleesattlergasse. Ob es das Labyrinth noch gab? Wer wohnte jetzt im Herrenhaus, Philipp mit seiner Frau? Anna mied es, Sidonia in den Briefen nach ihrer Familie zu fragen, es würde sie nur mehr beschäftigen und sollte doch für immer vergangen sein.
»Bete«, hatte ihr Pater Canisius geraten, »schließe alles darin ein und es wird sich auflösen.« Aber die Beterei lag ihr nun mal nicht, so sehr sie sich auch bemühte. Ihre Form der geistigen Stärkung war die Malerei. Sie prägte sich die Stimmung im Garten ein, schwefelgelb, kobaltblau und blaugrün, um es am Tag in ihrem Stundenbuch festzuhalten. Eine geduckte Gestalt trat aus dem Schatten der Klausurmauer. Augenblicklich fühlte sich Anna in ihre Jugend zurückversetzt. Der Teufelsmönch! Sie blinzelte, atmete erleichtert auf. Was sie wieder für Bocksgehörn gehalten hatte, war nur überhängendes Geäst. Doch welche Nonne hatte sich in ihren schwarzen Chormantel gehüllt, die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, sodass Anna nicht erkennen konnte, wer es war? Warum schlich sie um diese Zeit draußen herum, die Arme verschränkt? Nein, sie trug etwas. Etwas kleines Weißes ragte unter ihrem Ellbogen hervor. Ein winziger Fuß. Anna bebte, sollte sich alles wiederholen? Damals hatte es auch mit Mechthilds Füßchen begonnen, sie war aufgewacht und …
Eine zweite Nonne eilte mit einer Schaufel herbei. Schwester Ochata. Anna merkte kaum noch etwas von ihrer Gebrechlichkeit, als sie eine Grube zwischen den Pastinaken aushob. Einen Wimpernschlag lang fiel das Mondlicht auf das Gesicht der Kindsträgerin. Schwester Benefica, die Köchin. Sie legte den Säugling, der nachlässig in eine Decke gewickelt war, in das Loch. Er rührte sich nicht. Beide schoben mit Schaufel und Schuhen Erde über das Kind und stampften den Erdhügel platt. Wie ein Spuk verschwanden sie wieder im Schatten der Klausurmauer. Lange stand Anna am Fenster. Hatte sie ihm Stehen geträumt? Nein, da war doch der unbewachsene Erdfleck im Beet. Ein Kindergrab.
Bei den Horen beteten Benefica und Ochata wie immer im Gleichklang mit den anderen. Anna hatte die restliche Nacht gegrübelt, was sie unternehmen konnte. In den Garten gehen und das Kind wieder ausbuddeln? Sie musste sich einen Verbündeten suchen, sich jemandem anvertrauen, bevor ihr der Schädel zersprang. Eigentlich hatte sie gedacht, jeder Nonne hier im Kloster vertrauen zu können. Die kleinen Laster, deren jede frönte, verbanden sie alle in Reue und Großzügigkeit. Mit den Jahren verloren die Schwestern sogar mehr und mehr die Scheu, sie zu verbergen. Demetria schwelgte in Völlerei, Hildegard raffte einen Seidenstoff oder ein edles Garn an sich, wenn eine Spende zur Altarausschmückung eintraf. Anna vermutete, dass sie zu ihrem ergrauten Ziegenbärtchen vielfarbig bestickte Seidenwäsche unter der Kutte trug. Benefica sammelte Rezepte aus Fürstenhöfen, ließ sich exotische Tiere kommen und kitzelte mit ihrer Kochkunst die Gaumen der Mitschwestern an Feiertagen. Anna hatte auch gelernt, mit Ochatas hochmütiger Art
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